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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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ich mit dem Ärmel meinen Mundwinkel ab, während ich mich verzweifelt um eine passende Reaktion bemühte. Aber ehe mir auch nur die erste Silbe in den Sinn kam, dröhnte eine Hupe, und als ich mich umdrehte, funkelte mich Astors Gesicht verdrossen durch die Windschutzscheibe meines Autos an. Codys Kopf schwebte direkt daneben, still und wachsam. Ich konnte sehen, wie Astor herumrutschte und ihre Lippen die Worte
Komm schon, Dexter!
formten. Sie hupte noch einmal.
    »Deine Stiefkinder«, bemerkte Brian. »Sicher ganz reizende kleine Sprotten. Darf ich sie kennenlernen?«
    »Hm«, beschied ich ihn mit beeindruckender Autorität.
    »Komm schon, Dexter«, sagte Brian. »Ich will sie doch nicht
fressen.
« Er lachte ein befremdliches kurzes Lachen, das mich wahrlich nicht beruhigte, aber im selben Moment wurde mir bewusst, dass er immerhin mein Bruder war – und Cody und Astor waren alles andere als hilflos, wie sie bereits mehrmals unter Beweis gestellt hatten. Sicher konnte es nicht schaden, ihnen zu erlauben, ihren, hm,
Stief
onkel kennenzulernen.
    »Also gut«, sagte ich und bedeutete Astor mit einem Winken, auszusteigen und sich zu uns zu gesellen. Die beiden krabbelten mit löblicher Geschwindigkeit aus dem Auto und schossen zu uns herüber, wobei sie Brian gerade Zeit genug ließen, ebenfalls auszusteigen und sich neben mich zu stellen.
    »Soso«, sagte er. »Was für hübsche Kinder.«
    »Er ist hübsch«, erwiderte Astor. »Ich bin einfach süß, bis meine Hupen wachsen, und dann bin ich heiß.«
    »Ganz sicher bist du das«, sagte Brian und richtete seine Aufmerksamkeit auf Cody. »Und du, kleiner Mann«, begann er. »Bist du …« Er verstummte, als er Cody in die Augen sah.
    Cody stand mit gespreizten Beinen da, seine Arme hingen leblos herab, und starrte zu Brian hoch. Ihre Blicke trafen sich, und ich konnte das ledrige Rauschen von Schwingen hören, die dunkle, zischende Begrüßung ihrer inneren Zwillingsdämonen. Auf Codys Gesicht lag ein Ausdruck aggressiven Staunens; einen langen Moment stand er einfach so da, und Brian erwiderte sein Starren. Dann endlich sah Cody mich an. »Wie ich«, verkündete er. »Schattenmann.« Und sogleich drehte sich der Junge wieder um und sah ihm erneut in die Augen.
    »Erstaunlich«, sagte Brian, »Bruder, was hast du getan?«
    »Bruder?«, wiederholte Astor, die eindeutig dieselbe Zeit im Scheinwerferlicht wünschte. »Er ist dein Bruder?«
    »Ja, mein Bruder«, antwortete ich und fügte, an Brian gewandt, hinzu: »Ich habe gar nichts getan. Das war ihr biologischer Vater.«
    »Er hat uns immer fürchterlich verdroschen«, berichtete Astor sachlich.
    »Ich verstehe«, sagte Brian. »Und so das traumatische Element beigesteuert, dem wir alle entspringen.«
    »Davon gehe ich aus«, sagte ich.
    »Und was hast du mit diesem wunderbaren, unerschlossenen Potenzial angefangen?«, erkundigte sich Brian, den Blick noch immer auf Cody gerichtet.
    Die Situation wurde wahrlich unerquicklich, da ich ursprünglich beschlossen hatte, sie auf Harrys Weise zu erziehen, ein Plan, den ich jetzt entschieden ablehnte. Ich stellte fest, dass ich nicht offen darüber sprechen wollte, nicht zu diesem Zeitpunkt. »Lasst uns reingehen«, sagte ich. »Hättest du gern einen Kaffee oder so was?«
    Brian richtete seinen leeren Blick von Cody auf mich. »Das wäre ganz reizend, Bruder«, sagte er und ging nach einem letzten Blick auf die Kinder zur Haustür.
    »Du hast nie erzählt, dass du einen
Bruder
hast«, klagte Astor.
    »Ihr habt mich nie gefragt«, erwiderte ich in dem seltsamen Gefühl, mich verteidigen zu müssen.
    »Du hättest es uns sagen müssen«, stellte Astor fest, und in Codys Blick lag dieselbe unausgesprochene Anklage, als hätte ich irgendein Urvertrauen verraten.
    Doch Brian stand bereits an der Haustür, deshalb wandte ich mich ab und folgte ihm. Sie trotteten, eindeutig vor Wut schäumend, hinterher, und mir ging auf, dass dies vermutlich nicht die letzte Gelegenheit gewesen war, bei der ich mir ähnliche Vorwürfe anhören musste. Was sollte ich Rita antworten, wenn sie dieselbe Frage stellte, was sie mit Sicherheit tun würde? Ich meine, natürlich hatte ich ihnen nie erzählt, dass ich einen Bruder hatte. Angesichts der Tatsache, dass Brian so war wie ich, nur ohne Harrys Beschränkungen, also eine Art entfesselter Dexter, was hätte ich sagen sollen? Die einzig angemessene Vorstellung hätte in etwa folgendermaßen lauten müssen: »Das ist mein Bruder – rennt um euer

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