Dexter
dennoch …
»Ihr beide müsst begreifen, wie viel Glück ihr habt«, fuhr Brian fort. »Ein Zuhause zu haben – und sogar jemanden, der euch versteht.« Er sah mich an und lächelte erneut. »Und jetzt zwei Jemande.« Und er zwinkerte ihnen grauenhaft künstlich zu.
»Heißt das, du kommst jetzt öfter zu uns?«, fragte Astor.
Brians Lächeln wurde eine Spur breiter. »Das könnte sein. Wofür sonst hat man
Familie?
«
Brians Worte rissen mich aus meiner Erstarrung, und ich beugte mich zu ihm hinüber, als hätte mir jemand den Rücken versengt. »Bist du sicher?«, fragte ich und spürte, wie die Worte in meinem Mund sich in eisige, klobige Klumpen verwandelten. Nichtsdestotrotz stammelte ich weiter. »Ich meine, du weißt, wie schön es ist, dich zu sehen und alles, aber … Nun, das Ganze birgt ein gewisses Risiko.«
»Was für ein Risiko?«, wollte Astor wissen.
»Ich kann sehr vorsichtig sein«, antwortete mir Brian. »Wie wir beide wissen.«
»Es ist einfach so, weißt du, Deborah könnte hier auftauchen.«
»Sie ist schon seit zwei Wochen nicht mehr hier gewesen«, erwiderte er und sah mich spöttisch an. »Oder?«
»Woher weißt du das?«, bohrte Astor. »Warum ist es wichtig, ob Tante Deborah uns besucht?«
Äußerst interessant, diese »zwei Wochen«, denn jetzt wusste ich, wie lange uns Brian bereits beobachtete. Wir beide ignorierten Astors Unterbrechung, denn ganz offensichtlich war das immens wichtig. Wenn Deborah Brian hier antraf, steckten wir beide in riesigen Schwierigkeiten.
Doch Brian hatte recht; Deborah hatte uns in letzter Zeit nicht sonderlich oft besucht. Ich hatte nicht großartig darüber nachgedacht, aber angesichts ihres Zusammenbruchs bei dem Thema Familie – ich hatte eine, sie noch nicht – konnte ich davon ausgehen, dass sie diese Besuche in gewisser Weise schmerzlich fand.
Zu meinem Glück blieb mir eine weitere Lektion in Familiendynamik erspart, da Rita herbeieilte, mit einem Kännchen Milch und sogar einem Keksteller bewaffnet. »Hier«, sagte sie, stellte ihre Fracht ab und arrangierte die Dinge zu einem vorteilhafteren Bild. Immerhin war sie Rita, die Mächtige, absolute Herrscherin des Haushalts und der Küche. »Wir hatten noch etwas von der jamaikanischen Mischung, die dir so gut schmeckt, Dexter. Hast du die genommen?« Ich nickte stumm, während sie das Geschirr auf dem Couchtisch arrangierte. »Denn schließlich könnte es ja sein, dass sie deinem
Bruder
auch so gut schmeckt wie dir.« Angesichts des Gewichts, mit dem sie das Wort »Bruder« befrachtete, wusste ich, dass das noch mal Thema werden würde.
»Er duftet absolut köstlich«, sagte Brian. »Ich kann jetzt schon spüren, wie ich munter werde.«
Brians Bemerkung war so offenkundig geschwindelt, dass ich überzeugt war, Rita würde sich mit hochgezogenen Brauen und gekräuseltem Mund zu ihm umdrehen. Stattdessen errötete sie ein wenig, als sie wieder aufs Sofa sank, und schob ihm eine Tasse zu. »Nimmst du Milch und Zucker?«
»Oh, nein«, wehrte Brian ab, während er mich direkt anlächelte. »Ich mag ihn pechschwarz.«
Rita drehte den Henkel der Tasse in seine Richtung und legte eine kleine Serviette daneben. »Dexter mag es ein wenig süß«, sagte sie.
»Nun, meine Liebe«, schmeichelte Brian. »Ich würde meinen, das hat er gefunden.«
Ich weiß nicht, welche grauenhaften Erlebnisse Brian in diesen Quell der Heuchelei verwandelt hatten, der nun auf meinem Sofa sprudelte, aber es kann nur gut für ihn sein, dass er nicht in der Lage ist, Scham zu verspüren. Ich war stets stolz darauf, angepasst und einigermaßen glaubwürdig zu wirken; er hatte offensichtlich weder das eine noch das andere erlernt. Und im Verlauf des Abends – mehr Kaffee, dann Pizza, denn selbstverständlich musste mein
Bruder
zum Abendessen bleiben – trug er immer dicker auf. Ich wartete die ganze Zeit, dass der Himmel sich auftat und ein Blitz auf ihn herniederfuhr oder wenigstens eine dröhnende Stimme ihn aufforderte, es mal gut sein zu lassen, wie Harry es formuliert hätte. Aber je plumper und übertriebener Brians Schmeicheleien wurden, desto glücklicher machten sie Rita. Selbst Cody und Astor beobachteten ihn voll stummer Bewunderung.
Als Lily Anne sich schließlich im Nebenzimmer bemerkbar machte, setzte Rita meinem Unbehagen die Krone auf, indem sie sie ins Wohnzimmer holte und zur Schau stellte. Worauf Brian bis dahin ungeahnte Höhen erreichte und ihre Zehen pries, das Näschen, ihre winzigen,
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