Dexter
Raubtieren bevölkert wurde, und viele waren sogar beides. Es war unmöglich herauszufinden, warum uns jemand gefolgt war, und außerdem war es ohne Belang. Wer immer es gewesen war, er war verschwunden.
Nur um auf Nummer sicher zu gehen, nutzte ich auf dem Heimweg ausschließlich Nebenstraßen, für den Fall, dass unser Verfolger den Highway beobachtete. Abgesehen davon war es bei Sonnenuntergang einfacher, jemanden hinter uns in einer dunklen, von Häusern gesäumten Straße auszumachen als im leuchtend orangen Licht der Lampen entlang der US 1 . Ich entdeckte niemanden, nur ein- oder zweimal flammten Scheinwerfer im Rückspiegel auf, doch handelte es sich stets um Pendler auf dem Heimweg, die in ihre Straßen einbogen und in ihren Einfahrten parkten.
Endlich erreichten wir die Kreuzung, von der es zu unserem eigenen kleinen Bungalow abging. Ich fuhr vorsichtig bis an die US 1 und blickte argwöhnisch in beide Richtungen. Außer dem fließenden Verkehr war nichts zu sehen, und der wirkte absolut nicht bösartig, deshalb überquerte ich den Highway, als die Ampel auf Grün sprang, und nahm zwei weitere Abzweigungen, die uns zu unserer Straße führten.
»Also gut«, sagte ich, als unser kleines Stück vom Himmel in Sicht kam. »Wir sollten eurer Mutter nichts davon erzählen, sie würde sich nur Sorgen machen. Okay?«
»Dexter«, sagte Astor, beugte sich über die Lehne des Beifahrersitzes und zeigte auf unser Haus. Mein Blick glitt an ihrem ausgestreckten Arm entlang, und dann trat ich so wuchtig auf die Bremse, dass meine Zähne klapperten.
Ein roter Kleinwagen parkte mit der Schnauze zu uns direkt vor der Haustür. Die Scheinwerfer brannten, der Motor lief, und ich konnte nicht hineinsehen, aber das musste ich auch nicht, um das rasche Schlagen der dunklen, ledrigen Schwingen und das zornige Zischen eines hellwachen Passagiers zu vernehmen.
»Bleibt drin und verriegelt die Türen«, rief ich und gab Astor mein Handy. »Falls etwas passiert, wählst du neun, eins, eins.«
»Darf ich wegfahren, wenn du tot bist?«, fragte Astor.
»Bleibt einfach hier«, sagte ich, holte tief Luft und versammelte die Dunkelheit …
»Ich kann fahren«, behauptete Astor, schnallte sich ab und kroch nach vorn.
»Astor«, sagte ich schneidend, und das Echo der anderen Stimme, des eisigen Kommandeurs, hallte in der meinen wider. »Du rührst dich nicht vom Fleck.« Und sie ließ sich nahezu fügsam wieder auf den Rücksitz fallen.
Ich stieg langsam aus und musterte das andere Auto. Im Inneren war nichts zu erkennen, aber es wirkte absolut nicht gefährlich, ein roter Kleinwagen mit brennenden Scheinwerfern und laufendem Motor. Vom Passagier empfing ich dann das Äquivalent eines langen Trommelwirbels – er war bereit, aber wozu? Sowohl flammende Kettensägen als auch Wurftorten lagen im Bereich des Möglichen.
Ich ging auf den Wagen zu, wobei ich versuchte, mir einen Plan zurechtzulegen, was unmöglich war, da ich nicht wusste, was er wollte, oder auch nur, wer er war. Es schien nicht länger glaubwürdig, dass es sich um einen zufälligen Irren handelte – nicht, wenn er wusste, wo ich wohnte. Aber wer war es? Wer hatte Grund, sich so zu verhalten? Welcher Lebende, meine ich, denn etlichen früheren Opfern hätte es ungeheuer gefallen, mich zu verfolgen, doch verfügten sie alle über keinerlei Aktionsvermögen mehr, abgesehen vom Verwesungsprozess.
Ich ging weiter, wobei ich versuchte, auf alles vorbereitet zu sein, ein weiteres Ding der Unmöglichkeit. Noch immer kein Lebenszeichen in dem anderen Auto und rein gar nichts vom Passagier, außer einem verwirrten, vorsichtigen Flattern der Schwingen.
Als ich nur noch drei Meter entfernt war, glitt die Scheibe auf der Fahrerseite nach unten, und ich erstarrte. Einen langen Augenblick passierte gar nichts, dann tauchte ein Gesicht im Fenster auf, ein vertrautes Gesicht, auf dem ein breites, künstliches Lächeln lag.
»War das nicht lustig?«, fragte das Gesicht. »Wann wolltest du mir mitteilen, dass ich Onkel geworden bin?«
Es war mein Bruder Brian.
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9
I ch hatte meinen Bruder seit jenem denkwürdigen Abend vor einigen Jahren nicht mehr gesehen. Damals hatten wir uns zum ersten Mal als Erwachsene getroffen, in einem Frachtcontainer im Hafen von Miami, und er hatte mir ein Messer angeboten, um ihm bei der Vivisektion des von ihm erwählten Opfers zu assistieren. Ich hatte mich nicht dazu durchringen können, so seltsam das klingen mag. Es könnte daran
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