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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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hören.
    »Großartig«, gratulierte ich. »Aber warum brauchst du mich so früh?«
    Sie senkte die Stimme, als sei sie besorgt, jemand könnte sie hören. »Ich brauche deine Hilfe, Dex. Das wird ein Riesending, und ich darf es nicht vermasseln. Außerdem ist es, du weißt schon, politisch.« Sie räusperte sich leicht, wobei sie ein bisschen wie Captain Matthews klang. »Deshalb habe ich dich als Vertreter der Kriminaltechnik für die Sonderkommission angefordert.«
    »Ich muss die Kinder zur Schule bringen«, protestierte ich, als ich neben mir ein leises Rascheln vernahm.
    Ritas Hand legte sich auf meinen Arm. »Ich kann die Kinder zur Schule fahren«, sagte sie.
    »Du solltest nicht fahren«, wehrte ich ab. »Lily Anne ist noch zu klein.«
    »Sie packt das schon«, meinte Rita. »Und ich auch. Dexter, ich habe das schon zwei Mal gemacht und hatte dabei keinerlei Unterstützung.«
    Wir sprachen nie über Ritas Ex, den biologischen Vater von Cody und Astor, aber ich wusste genug über ihn, um überzeugt zu sein, dass er keine große Hilfe gewesen war. Selbstverständlich hatte sie das schon früher geschafft. Und in Wahrheit sah Rita gut aus, nicht im Geringsten kränklich – doch nur allzu verständlicherweise war es Lily Anne, um die ich mir Sorgen machte. »Aber der Autositz«, sagte ich.
    »Alles ist bestens, Dexter, wirklich«, beruhigte mich Rita. »Mach einfach deine Arbeit.«
    Ich hörte etwas, das ein Schnauben von Deborah hätte sein können. »Richte Rita meinen Dank aus«, schnarrte Debs. »Bis gleich.« Und legte auf.
    »Aber«, sagte ich in den Hörer, obwohl die Leitung tot war.
    »Zieh dich an«, meinte Rita. »Ehrlich, wir schaffen das schon.«
    Unsere Gesellschaft hat viele Gesetze und Gebräuche, um Frauen vor der rohen Gewalt der Männer zu schützen, aber wenn zwei Frauen sich verbünden und es auf einen Mann abgesehen haben, bleibt ihm absolut nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Vielleicht werden wir eines Tages eine Frau voller Mitgefühl zur Präsidentin wählen, die diesbezüglich neue Gesetze erlässt, aber bis dahin blieb ich ein wehrloses Opfer. Ich stand auf und duschte, und als ich angezogen war, hatte Rita mir ein Spiegelei-Sandwich bereitet, das ich im Auto essen konnte, und Kaffee gekocht, den ich in einem metallisch schimmernden Thermobecher mitnahm.
    »Gib alles«, sagte sie mit einem müden Lächeln. »Ich hoffe, ihr erwischt diese Leute.«
    Ich sah sie überrascht an.
    »Es kam in den Nachrichten«, erklärte sie. »Sie sagen, es war … Das arme Mädchen wurde
gegessen.
« Sie schauderte und trank einen Schluck Kaffee. »In Miami. In der heutigen Zeit. Ich kann nicht … Ich meine,
Kannibalen?
Eine ganze Gruppe? Wie kann man …« Sie schüttelte den Kopf, trank noch einen Schluck und stellte die Tasse ab – und zu meiner Überraschung sah ich Tränen in ihren Augen.
    »Rita!«
    »Schon gut«, erwiderte sie, während sie sich die Augen rieb. »Das sind bestimmt nur die Hormone, weil … Und ich bin wirklich nicht …« Sie schniefte. »Es ist wegen dem Baby. Und jetzt ein anderes kleines Mädchen – fahr schon, Dexter. Das ist wichtig.«
    Ich fuhr. Ich war noch nicht richtig wach und litt nach wie vor an den Auswirkungen der psychischen Auspeitschung durch Rita und Deborah, aber ich fuhr. Seltsamerweise war ich von Ritas Worten ebenso überrascht wie von ihren Tränen.
Kannibalen.
Es mag seltsam klingen, aber bis jetzt hatte ich an diesen Begriff noch gar nicht gedacht. Ich meine, Dexter ist keineswegs dumm: Ich wusste, dass das arme Mädchen von Menschen verzehrt worden war. Und natürlich wusste ich auch, dass man Menschen, die andere Menschen verzehren, Kannibalen nennt. Aber die Folgerung, dass Kannibalen Tyler Spanos verzehrt hatten – durch sie geriet das Ganze auf eine Ebene alltäglicher, zehenstoßender Realität, die irgendwie ein bisschen unheimlich und angsteinflößend wirkte. Ich weiß, dass die Welt voll schlechter Menschen ist: Immerhin bin ich einer davon. Aber eine ganze Gruppe Partybesucher, die bei einem Grillfest ein junges Mädchen verspeist? Das machte sie zu Kannibalen,
zeitgenössischen,
modernen, Direkt-hier-in-Miami-Kannibalen, und es schien, als sei das Niveau der Verderbtheit soeben um einige Zentimeter angestiegen.
    Zudem atmete die Angelegenheit eine zusätzliche Spur Wahnsinn, als wäre ein Buch voll angsteinflößender Märchen zum Leben erwacht: erst Vampire, jetzt Kannibalen. Wie interessant Miami plötzlich geworden war.

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