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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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eine Anzahl ausgezeichneter kubanischer Restaurants hätten frequentieren können. Allein der Gedanke daran ließ meinen Magen knurren, und ich stellte mir vor, ich könnte die in der Pfanne brutzelnden
platanos
riechen. Doch soweit es Deborah betraf, hatten die Mühlen der Justiz bereits ihre Arbeit aufgenommen, mahlten unerbittlich in Richtung eines Schuldspruchs und einer sichereren Welt, was offenbar bedeutete, dass Dexter um der Gesellschaft willen ruhig auf sein Mittagessen verzichten konnte.
    Deshalb war es ein äußerst hungriger Dexter, der sich erschöpft zurück ins Labor schleppte, gehetzt von der Forderung seiner Schwester nach einer blitzschnellen Identifikation des Opfers aus den Everglades. Ich packte meine Proben aus und warf mich in meinen Stuhl, wo ich nach Antworten auf die brennenden Fragen suchte: Sollte ich den ganzen Weg zurück zur Calle Ocho fahren? Oder mich einfach ins Café Relampago begeben, das viel näher lag und exzellente Sandwichs im Angebot hatte?
    Wie auf die meisten bedeutenden Fragen im Leben war die Antwort auch hier nicht einfach, und ich dachte intensiv über die Implikationen nach. Was war besser: schnell zu essen oder gut? Wählte ich die augenblickliche Erfüllung, machte mich das zu einer schwächeren Person? Und warum musste es heute kubanisches Essen sein? Warum, nur als Beispiel, nicht etwas vom Grill?
    Bei diesem Gedanken nahm mein Appetit merklich ab. Das Mädchen in den Everglades war gegrillt worden, und aus irgendeinem Grund machte mir das zu schaffen. Ich konnte die Bilder nicht verdrängen: das arme gefesselte Mädchen, das an Ort und Stelle langsam verblutete, während die Flammen höherschlugen, die johlende Menge, der Chefkoch, der Barbecuesoße versprenkelt. Ich meinte das schmorende Fleisch beinah zu riechen, und dabei vergingen mir alle Träume von
ropa vieja
und Mittagessen gründlich.
    Würde das Leben von nun an so weitergehen? Wie konnte ich meine Arbeit erledigen, wenn ich mit den Opfern, auf die ich Tag für Tag stieß, echtes Mitgefühl entwickelte? Schlimmer noch, wie konnte ich eine Stelle behalten, die mich am Mittagessen hinderte?
    Wahrhaft traurige Zustände, und so schwelgte ich einige Minuten in Selbstmitleid. Dexter depressiv, eine wahrhaft absurde Gestalt. Ich, der ich Dutzende verdient in ein Leben nach dem Tod befördert hatte, bedauerte nun den Verlust eines unbedeutenden Mädchens, und das nur, weil wer auch immer sie ermordet hatte, kein Fleisch verkommen lassen wollte.
    Grotesk; abgesehen davon brauchte die mächtige Maschine Dexter dringend Brennstoff. Deshalb wischte ich die unglücklichen Gedanken beiseite und marschierte den Flur hinunter zu den Automaten. Doch das magere Angebot hinter den Scheiben bereitete mir keine rechte Freude. Im Krankenhaus war mir ein Snickers wie Manna vom Himmel erschienen. Jetzt wirkte es wie eine Strafe. Und auch nichts anderes sprach mich an und verhieß mir Erfüllung. Trotz all der leuchtenden Verpackungen und munteren Werbesprüche sah ich nichts als ein Regal voller Konservierungsstoffe und chemisch intensivierter Farbstoffe. Künstliche Aromen und echt synthetische Kopien, ebenso appetitlich wie ein Chemiebaukasten.
    Doch die Pflicht rief, und ich musste dringend etwas zu mir nehmen, um auf dem erforderlich hohen Niveau zu funktionieren. Deshalb setzte ich auf die am wenigsten abstoßende Wahl – Cracker mit einer Substanz in der Mitte, bei der es sich angeblich um Erdnussbutter handelte. Ich warf Geld ein und drückte die Taste. Die Cracker purzelten in die Ausgabe, und als ich mich bückte, um sie herauszunehmen, öffnete eine kleine und verschattete Gestalt im düsteren Keller von Burg Dexter eine Tür und steckte den Kopf heraus. Ich erstarrte in meiner gebückten Haltung und lauschte, hörte jedoch nichts außer dem seidigen Flattern einer winzigen Warnflagge, die verkündete, dass die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten. Langsam und vorsichtig richtete ich mich auf und drehte mich um.
    Hinter mir befand sich absolut nichts: weder ein Verrückter mit einem Messer noch ein außer Kontrolle geratener Laster, der auf mich zuraste, oder ein Turban tragender Riese mit einem Assagai – nichts. Trotzdem wisperte die leise Stimme mir zu, auf der Hut zu sein.
    Der Passagier spielte offensichtlich mit mir. Vielleicht war er verstimmt, weil ich ihn nicht mehr fütterte und Gassi führte. »Halt einfach die Klappe«, befahl ich. »Hau ab und lass mich in Ruhe!« Er feixte weiter, weshalb ich

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