Dezembergeheimnis
eine Entschuldigung in den Augen. Ihr Herz schmerzte bei seinem Anblick, denn sie begriff, dass er das wohl wirklich von ihr denken musste. Dabei wollte sie ihm gegenüber gar nicht so sein. Sie wollte ihm nicht das Gefühl geben, bei ihr nur auf Ablehnung zu treffen. Denn, so wenig, wie er es vielleicht erkennen konnte, umso deutlicher hatte er seine Spuren bereits bei ihrhinterlassen. Er hatte sie schon nach diesen wenigen Tagen an Stellen in ihrer Seele berührt, die vor ihm kein anderer jemals gesehen hatte. Und das, obwohl weder er direkt gesucht, noch sie ihn geführt hatte.
Zu Leas Überraschung schüttelte er jedoch schnell den Kopf und berichtigte sich: »Nein, ich glaube, ein Schmetterling passt dann doch nicht so gut.«
»Nicht?« So, wie er es eben formuliert hatte, hatte sie sich in seinen wenigen Worten exakt wieder erkannt.
»Nein, du bist liebevoller und fürsorglicher. Ehrlich und emotional, vielleicht ein wenig stur.« Er lächelte verschmitzt und sie war wirklich versucht, ihm dafür die Zunge herauszustecken.
»Du opferst dich für andere auf, steckst deine eigenen Träume zurück. Du … « Er holte tief Luft, schien damit zu hadern, was er sagen wollte, schloss jedoch den Mund einfach wieder und presste die Lippen aufeinander. Offensichtlich gab es noch eine Menge Sachen, mit denen er sie beschreiben wollte. Lea bekam eine leichte Gänsehaut, von dem unerwarteten Drang, ihn danach zu fragen. Sie wollte wissen, was er genau über sie dachte und wie er sie einschätzte. Doch gleichzeitig kam da auch die Angst, dass darunter Eigenschaften waren, die ihn verschrecken würden. Feige, wie sie war, hielt sie deswegen den Mund.
»Vielleicht bist du doch eher ein Gorilla-Weibchen«, entschied er mit einem Grinsen.
»Oh!«, rief sie aus, griff nach dem kleinen Kissen in ihrem Rücken und schlug ihm damit, so fest sie konnte, gegen die Brust. »Du wagst es!«, rief sie lachend. »Ein Gorilla! Na, warte!«
Er stimmte in ihr Lachen ein, brachte sie aber leider mit ein paar gezielten Handgriffen kitzelnd zur Strecke. Er hielt seine Attacke nicht lange durch, denn sobald sie völlig außer Atem »Bitte … Hör auf!« keuchte, ließ er sofort von ihr ab.
Es war so fremd, seine Hände zu spüren; diese körperliche Nähe hörte nicht auf, sie zu überfordern. Sein Lachen war so sorgenfrei, seine Augen leuchteten so entsetzlich schön und in diesem kurzen Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihm schlichtweg mit vollem Herzen vertrauen zu können. Dass er nie verschwinden würde. Dass er sie für einen Augenblick ganz still halten würde.
Sie sahen sich einen Moment schwer atmend in die Augen, ihre Wangen errötet, und keinem von ihnen entging die plötzliche Spannung. Leise räuspernd richtete sich Lea zittrig wieder in ihre sitzende Position, was Noel imitierte.
»Es tut mir leid«, sagte er leise, sobald sie wieder ruhiger atmeten.
»Ja, das kann es auch!«, entgegnete sie mit einem auffordernden, aber spielerischen Grinsen.
»Nein, das mein ich nicht«, erwiderte er plötzlich sehr ernst. »Es tut mir leid, dass du meinetwegen nicht im Schmetterlingshaus bleiben konntest.«
Lea musste erst einen Moment blinzeln, bis sie verstand, was er ihr erklärte. Doch dann konnte sie das liebevolle Lächeln ihrerseits nicht mehr verhindern.
Sich aufrappelnd antwortete sie: »Mach dir keine Gedanken, ich fand den Tag trotzdem sehr schön.«
»Ja. Ich auch.«
»Aber ich glaube, es ist dann auch Zeit, ins Bett zu gehen«, entschied sie, immer noch mit einem leichten Zittern in der Stimme.
»Ja, du hast Recht.« Noel nickte und erhob sich ebenfalls. Bevor sie den Raum verließ, hinderte sie erneut seine Stimme am Gehen.
»Lea, welche ist heute deine Lieblingsfarbe gewesen?«
Sie atmete tief durch. »Blau. Denn dank dir hab ich mich heute frei gefühlt.«
Kapitel 7
»Lea! Du musst aufwachen«, mischte sich eine gehetzte Stimme in ihre Träume. Lea presste die Augen zusammen. Was wollte diese Stimme von ihr? Sie sollte weggehen. Ganz weit weg am besten. Aber sie ließ nicht so einfach von ihr ab.
»Lea!«, wiederholte sie stattdessen dringlich, bevor sie ganz sacht an der Schulter gefasst wurde. Langsam sickerte es zu ihr durch, dass sie jemand wecken wollte. Tief seufzend öffnete sie ein Auge einen winzigen Spalt breit.
Noel.
»Lea, deine Arbeit!« Er wirkte besorgt, seine Hand hatte ihre Schulter nicht verlassen. Draußen dämmerte es bereits, aber Leas Kopf arbeitete noch nicht und
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