Dezembergeheimnis
vielleicht ein bisschen zu schnell. Andererseits hatte sie es ihm angeboten und er sollte sich ja auch sein eigenes Bild machen und sich wohlfühlen … und es gab schließlich nicht wirklich was zu finden, was ihn schreiend aus der Wohnung jagen würde, richtig? Richtig.
»Danke!« Noel erhob sich und begann, das schmutzige Geschirr abzuräumen. Eilig schnitt sie ihm den Weg ab und schnappte ihm die Teller aus der Hand, da sie ihn unter keinen Umständen in der Nähe der Spüle sehen wollte. Er schien über ihren Einwand etwas unglücklich, gab sich aber schlussendlich geschlagen und ließ sich erneut auf seinem Barhocker nieder, um sie zu beobachten.
Während das Wasser das Spülbecken füllte, fragte sie: »Also, was wollen wir machen?«
»Ich weiß nicht. Was machst du sonst an deinen Wochenenden?«
»Na ja, ich … lese oder räume auf. Oder … «
Schreibe
, müsste sie wahrheitsgemäß fortfahren. Stattdessen sagte sie: »Oder ich treffe mich mit Sally. Die will heute übrigens noch mal kurz vorbei kommen.«
Genau in dem Momente klingelte es an der Tür, sie stellte den Hahn ab und huschte unter Noels achtsamen Blick zur Sprechanlage.
»Lea, ich bin’s! Ich bring dir die Klamotten vorbei!«, erklärte die blecherne Stimme, die unverkennbar zu Sally gehörte.
»Da ist sie schon«, seufzte Lea. Am liebsten wäre sie getürmt, aber leider blieb für Verstecken keine Zeit mehr. Stattdessen drehte sie sich zu Noel um. Zu ihrem Erstaunen lächelte er nicht, sondern guckte eher wie ein Schluck Wasser aus seinem Hemd.
»Alles in Ordnung?«
»Japp.« Er fasste sich sofort wieder. »Warum kommt Sally?«
»Wir gehen morgen auf eine Silvesterparty.«
»Wir?«
»Ja, wir.« Lea grinste. »Sally, Paul, du und ich.«
Das schien Noels Laune dann doch wieder zu heben, aber Lea verstand nicht, weswegen er so traurig ausgesehen hatte. »Stört es dich, dass Sally kommt?«
»Nein, gar nicht. Sie ist deine beste Freundin, sie ist toll. Ich hatte mich nur auf einen freien Tag mit dir gefreut.«
Lea lächelte gerührt und wäre am liebsten zu ihm gegangen und hätte ihn umarmt. »Keine Sorge, sie bleibt nicht lange.«
Da öffnete sich auch schon die Tür und die hochgewachsene Blonde trat ein. »Deine Lieblingsfreundin ist da!«
»Das muss ich mir noch überlegen, ob du meine Lieblingsfreundin bist. Es ist Samstagmorgen!«, erwiderte Lea lachend und umarmte sie.
»Ach, sei doch nicht so«, wehrte Sally ab und trat an ihr vorbei. Mit einem überraschten »Oh« blieb sie wie angewurzelt vor Noel stehen. »Er ist hier.«
»Natürlich ist er hier.« Lea ging an ihr vorbei und stellte sich zu ihm.
»Hallo Sally«, begrüßte Noel sie unbeeindruckt mit freundlicher und samtener Stimme. Er lächelte und von der betrübten Stimmung war keine Spur mehr zu finden.
»Hallo … «, erwiderte diese, offenbar immer noch etwas von der Tatsache verblüfft, ihn in Leas Wohnung anzutreffen. Sie sagte aber nichts weiter dazu, sondern deutete auf den Stapel Säcke über ihrem Arm.
»Du kannst die Kleider anprobieren und entscheiden, welches dir am besten gefällt. Dann bin ich auch schon wieder weg. Du brauchst gar nicht so zu gucken, das dauert nicht lange.«
Lea verdrehte seufzend die Augen, denn sie wusste, dass sie sie nicht davon abbringen konnte. Und Fakt war ja leider auch, dass sie toll aussehen
wollte
und ihr klar war, dass sie das ohne Sallys Hilfe nie zustande bekommen könnte. Sie wollte auch gar nicht wissen, woher sie all diese Sachen hatte; sie hatte diese Frage ein Mal gestellt und sich danach unter missbilligenden Blicken und abfälligen Bemerkungen zwei Stunden lang Kampfstrategien des Shopping-Kriegs erläutern lassen müssen. Das reichte für fünf Leben.
Schnurstracks stolzierte Sally in Leas Schlafzimmer. Die folgte ihr mit einem letzten »Das kann sicher dauern, mach es dir einfach gemütlich« an Noel. Sally legte die Kleidersäcke auf Leas Bett ab und zog gleich den ersten Reißverschluss auf.
»Er wohnt also wirklich hier?«, erkundigte sich Sally scheinbar ganz beiläufig, während sie Lea das erste Outfit reichte. Seufzend schälte die sich aus ihrer Jeans und dem Pullover.
»Wo soll er denn sonst hin?« Sie schlüpfte in das Kleid und sah angewidert an sich herunter. Es war beige und damit einfach nur furchtbar zu ihrer blassen Haut. Beide schüttelten den Kopf und Sally reichte ihr das nächste.
»Ich dachte, er würde sich eine eigene Wohnung suchen?« Das farblose Ungetüm wurde
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