Dezembergeheimnis
Noel!« Sally stürmte voll im Erwartungstaumel an ihr vorbei. Lea tapste hinterher, bis sie ebenfalls in seinem Blickfeld stand. Durch den plötzlichen Lärm aufgeschreckt, zuckte Noel heftig zusammen und versteckte hastig etwas hinter seinem Rücken. »Was machst du da?«
»Lesen«, erwiderte Noel knapp.
Leas Freundin zuckte mit den Schultern und machte einen Schritt beiseite, um sie angemessen zu präsentieren. »Lea steht vor der Wahl zwischen zwei Kleidern und wir wollen deine Meinung hören. Das ist Nummer Eins. Sag noch nichts, warte erst Nummer Zwei ab!«
Er suchte Leas Blick und schaute sie stirnrunzelnd an. Sie wusste genau, dass er sehen konnte, dass sie sich nicht besonders wohl fühlte und betete dafür, dass er nichts Falsches sagte.
»Okay«, stimmte er schlicht zu. Sie lächelte ihn an, huschte zurück ins Schlafzimmer und wechselte das Outfit. Als sie zurück zu den beiden in den Raum trat, herrschte eine seltsame Stille zwischen ihnen. Beide sahen in unterschiedliche Richtungen.
»Ja, das wäre dann … das, ähm, Zweite.« Unsicher sah sie zwischen ihnen hin und her.
Noel hob den Kopf und erstarrte. Seine Augen weiteten sich ein bisschen und automatisch fühlte sie sich genauso auf dem Präsentierteller platziert wie im ersten Kleid. Dabei war der Stoff seidenweich, wiegte leicht an ihren Knöcheln hin und her und glänzte nicht so billig im Licht, wie es so oft der Fall war. Das dunkle Grün hatte für sich selbst etwas Mystisches und ihres Erachtens nach bildete es mit ihrer Haut auch keinen unerträglichen Kontrast. Der Ausschnitt war nicht allzu aufreizend, jedoch auch nicht prüde. Eigentlich gerade so, dass sie sich mit dem Prozentsatz, den sie an Haut zeigte, wohl fühlte. Eigentlich. Wenn Noel nicht so komisch gucken würde.
Als sie jedoch genauer hinsah, erkannte sie die Bewunderung und Sprachlosigkeit in seinem Gesicht. Er wandte den Kopf ab und räusperte sich in seine Hand.
»Das … ist sehr schön«, sagte er leise und schielte zu Sally. Diese nickte zufrieden.
»Wunderbar, eine gute Wahl. Dann kannst du dich jetzt wieder anziehen, Lea. Noel und ich widmen uns den Anzügen.«
Noels und Leas Blicke kreuzten sich nur noch ganz kurz, bevor sie sich artig umdrehte und verschwand. Ihr Bauch jubilierte fröhlich mit lauter kleinen Schmetterlingen und als sie sich mit den Händen das Gesicht befühlte, war es ganz warm. Ihr glückseliges Lächeln auf den Lippen wollte einfach nicht verschwinden, während sie sich umzog und die verschiedenen Kleider ordentlich wegräumte.
Als sie zurückkam, scheuchte Sally Noel mit den Sachen ins Schlafzimmer, noch ehe sie irgendwelche Einwände formulieren konnte. Mit offenem Mund blieb sie vor der Tür stehen. Sally war da drin, mit Noel? Während er sich umzog? Einen Moment hielt Lea die Luft an und lauschte – doch nichts. Kein Gelächter oder Geschrei, nur gedämpftes Gemurmel. Sie beäugte das Schlüsselloch, schüttelte aber nur den Kopf über sich selbst.
Für eine geschlagene Stunde blieben sie auch da drin und wenn Lea es nicht besser gewusst hätte, hätte sie angefangen, sich Sorgen zu machen. So nutzte sie die Zeit stattdessen – was blieb ihr auch anderes übrig? – für den Abwasch und eine gründliche, leider viel zu späte, Sicherheitsinspektion des Wohnraums. Dabei fand sie einige von diesen furchtbaren Klatschzeitschriften, die Sally immer mitbrachte, und sogar eine einzelne verstaubte Socke unter dem Sofa.
Ohne dass Lea irgendwas gezeigt wurde, verließen Noel und Sally in normalen Klamotten und leise tuschelnd das Schlafzimmer. Sobald Noels Blick auf Lea fiel, betrachtete er sie liebevoll und sie verstummten.
»Okay, dann haben wir ja alles geklärt«, sagte ihre Freundin. »Dann gehe ich jetzt.«
»Bist du sicher? Ich kann auch noch einen Kaffee machen«, wandte Lea ein.
»Nein, nein. Paul wartet sicher schon auf mich.«
Verwundert begleitete Lea sie zur Tür. »Ist alles in Ordnung? Passt einer der Anzüge? Ist irgendwas passiert?«
»Alles ist sogar in bester Ordnung. Das mag jetzt seltsam klingen, aber irgendwie bin ich überzeugt. Ich habe mich gerade sehr gut mit Noel unterhalten und ich kann nicht direkt sagen warum, aber ich verstehe jetzt, weshalb du ihm vertraust.« Lea wurde automatisch rot. »Er hat irgendwie so eine Aura … Ich finde keine passenden Worte. Ich weiß nicht, ob er dich glücklich machen kann, aber ich bin sicher, dass er es auf jeden Fall versuchen wird. Und einen passenden Anzug
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