Dezembergeheimnis
direkt wieder verpackt, denn Sally war pingelig, was ihre Klamotten betraf.
»Wie sollte er das denn bezahlen? Er hat kein Geld – und ich auch nicht.«
»Und wo schläft er?«
Lea warf ihr einen bösen Blick zu, den Sally nur mit einer erhobenen Augenbraue erwiderte.
»Auf dem Sofa«, antwortete sie gereizt.
»Und das macht er mit? Die ganze Zeit auf deiner Couch pennen?«
»Hey, die ist gar nicht so unbequem«, wollte Lea einwenden, doch sie wusste, dass Sally Recht hatte. Sie hätte wahrscheinlich schon nach vier Nächten wegen Rückenschmerzen Harakiri begangen, doch Noel beschwerte sich nicht. »Hmpf.«
»Vielleicht liegt ihm doch etwas an dir.«
»Ist das so schwer vorstellbar?« Mit gerümpfter Nase zog Lea den nächsten Kleidersack zu sich. Der Stoff dieses Kleides war schwarz und mit Pailletten bestickt. Für sie viel zu auffällig.
»Sei bloß nicht zu freundlich. Ich hab nur gedacht, dass es dich vielleicht interessiert, was ich über deinen lieben neuen
Mitbewohner
«, sie überbetonte das Wort, als hätte sie am liebsten noch ein
sogenannter
davor geschoben, »so herausgefunden habe.«
Ach, na das war ja wohl klar gewesen: Sie hatte einen Noel Clarke gefunden. Und wahrscheinlich war er rein zufällig auch noch Patient in der örtlichen Nervenheilanstalt.
»Ähm … so schnell?« Innerlich stellte sich Lea bereits auf alles ein.
»Ich bin ja kein Stümper. Also, du kannst mir versichern, dass er kein Irrer ist?«
»Ja«, bestätigte sie. Zugegeben, Sally kannte ihn erst von einem Nachmittag, aber sie hatte ihn doch erlebt. Wie konnte sie da von etwas anderem ausgehen? Lea sah ihn vor ihrem inneren Auge lächeln. Nein, er war kein Irrer.
»Und was will er dann von dir?«
Was sollte sie dazu sagen, wenn Sally die gebackene Wahrheit nicht glaubte? Wie konnte sie sie dazu bringen, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen? Ausweichend murmelte Lea stattdessen: »Ich dachte, du hast was rausgefunden?«
»Habe ich auch. Um genau zu sein, gibt es drei Noel Clarke in ganz Deutschland.«
Lea schluckte. Drei? Ach bitte! Als ob einer nicht schlimm genug gewesen wäre.
»Davon ist einer noch ein Kind und einer in einem Alter von über vierzig«, erklärte Sally weiter.
»Und der dritte?«, hakte Lea nach; unsicher, ob sie die Antwort wirklich wissen wollte.
»Wie es der Zufall will, ist das der Sohn des Zahnarztes meiner Mutter. Und der ist es auch nicht. Er wird nicht vermisst oder so.«
Erleichtert, aber ohne ein Geräusch zu machen, atmete Lea auf. Es gab also nichts, was gegen ihn sprach. Am liebsten hätte sie einen kleinen Siegestanz vollführt, aber so wie sie Sally kannte, war das Thema damit längst noch nicht vom Tisch.
»Aber«, warf ihre beste Freundin auch gleich dazwischen, »natürlich können wir nicht davon ausgehen, dass er wirklich aus Deutschland kommt.«
Damit hatte sie Recht.
»Aber in ganz Europa zu suchen, macht natürlich auch keinen Sinn und wer weiß, vielleicht ist er ja nicht mal von dort. Da müsste ich ja den ganzen Kontinent nach seiner richtigen Adresse absuchen.« Sie seufzte. »Was hast du mit ihm gemacht, dass er so davon besessen ist, dein Traummann zu sein?«
»Hey, es ist nichts Schlechtes, mein Traummann zu sein!«
»Also, hast
du
deine Meinung über ihn bereits geändert?«
»Also, ähm, ich … « Lea schluckte den Kloß im Hals herunter, um ihr so aufrichtig wie möglich zu antworten und damit hoffentlich auch jegliches Misstrauen an Noel zerstreuen zu können. »Ich weiß hundertprozentig, dass er mir nie etwas tun würde. Ich liege ihm am Herzen und er gibt sich wirklich Mühe. I-ich meine, er muss ja auch alles noch neu lernen und–«
»Wie, neu lernen?«, unterbrach Sally sie verwirrt. Lea biss sich auf die Zunge. Hatte Sally das nicht gleich am ersten Tag gemerkt? »Hat er etwa sein Gedächtnis verloren? Amnesie? Dann muss er doch sofort in ärztliche Behandlung!«
»Nein, keine Amnesie! So etwas ähnliches, aber es ist nicht gefährlich.« Bevor Sally noch weiter stochern konnte, fügte sie hinzu: »Er ist deswegen auch schon in Behandlung. Aber das … ist seine Privatsphäre.«
Da, perfekte Ausrede.
Sally hingegen verzog nur unbeeindruckt den Mund und zog Lea das Paillettenkleid über den Kopf. Auf ihrer mentalen Liste schien noch eine ganze Reihe von Fragen zu stehen. »Kannst du denn irgendwelche gewalttätigen Züge an ihm erkennen? Oder vermisst du irgendwas in deiner Wohnung? Vielleicht klaut er.«
»Nein, Sally,
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