Dezembergeheimnis
dass sie sie immer und immer wieder im Kopf Revue passieren ließ.
Silvester mit Noel war … denkwürdig gewesen. Ihr fehlten die passenden Worte, um diesen Abend zu beschreiben. Romantisch ja, aber nicht zu kitschig. Das, was sie gewollt hatte – aber gleichzeitig auch nah an der Grenze, ihr zu viel oder zumindest gefährlich zu werden. Dazu hatten sich der Rausch eines feinen Abends und die besondere Jahresabschlussstimmung gemischt, wodurch die ganze Atmosphäre irgendwie unwirklich geworden war.
Nun, da sie wieder auf einem alten Drehstuhl saß, eingepfercht zwischen riesigen verstaubten Bücherregalen, konnte sie es kaum glauben, dass sie erst vor zwei Nächten das Feuerwerk über der Stadt beobachtet hatten, während Noel ihr die Tiefe seiner Zuneigung gestand.
Als sie an seine Worte zurückdachte, kribbelten ihre Hände und Arme dort, wo er währenddessen mit seinen Fingerkuppen darüber gestrichen hatte.
Ich würde dich gerne viel öfter so halten
, hatte er gesagt. Sie halten – das war ein so seltsamer Wunsch. Mindestens so seltsam, wie von ihm gehalten zu werden. Wünschte sie sich das?
Lea sah auf ihre ausgestreckte rechte Hand. Neulich im Zoo war es gar nicht so schlimm gewesen, seine zu halten; im Gegenteil. Bei seiner warmen Haut hatten sich ihr die Nackenhaare aufgestellt und irgendwie hatte sie sich ihm viel verbundener gefühlt. Als könnte sie durch den Körperkontakt viel eher erahnen, was er dachte. Alle hatten gesehen, dass sie
zusammen
dort waren und das war nicht etwa unangenehm, sondern eher
befriedigend
gewesen.
Doch was war das Faszinierende für ihn daran? Warum war es ihm so wichtig?
Leas Finger waren nicht besonders elegant und lang, aber immerhin recht schmal. Der Mittelfinger machte einen kleinen Knick und bei dem zweiten Gelenk des Ringfingers war ein kleiner Knubbel. Sie drehte die Innenfläche zu sich und starrte auf die feinen Linien, die sich kreuz und quer darüber zogen. Wahrscheinlich würde sie sich nie merken, welche die Lebens- und welche die Liebeslinie war, geschweige denn, dass sie überhaupt nicht daran glauben würde, selbst wenn sie es wüsste. Fakt war jedenfalls, dass ihre Hände beim genaueren Hinsehen sogar ziemlich faltig waren. Noel musste sie furchtbar hässlich finden.
»Was machst du da?« Maria beugte sich ihr über die Schulter und schreckte Lea aus der abschweifenden Gedankenwelt. Mit der Nase war sie nurnoch wenige Zentimeter von ihrer Handfläche entfernt gewesen, ehe sie sie jetzt hastig zwischen die Oberschenkel klemmte.
»N-nichts. Nur Zeit totschlagen.«
»Ich bin so müde!«, jammerte ihre Kollegin und fuhr sich dabei genervt durch den rotgelockten Stufenschnitt. Sie trug ihre Brille, was ein Zeichen dafür war, dass sie es heute Morgen zu eilig gehabt hatte, Kontaktlinsen einzusetzen.
»Was hast du gestern gemacht? Und überhaupt, du hast noch gar nicht erzählt, wo du zu Silvester warst. Wir haben dich auf der Party vermisst.«
Maria sah auf den Bücherstapel, den sie gerade mit sich rumschleppte, und ihre Gesichtsfarbe näherte sich auffällig dem Ton ihrer Haare. »Ich war mit Chris aus.«
»An beiden Abenden?«
Sie räusperte sich kurz und schob die Brille nach oben. »Es sieht so aus, als würde es etwas Ernstes werden.«
Lea war kurz davor, aufzuspringen, doch Maria hob sofort die Hand. »Kein Wort! Ich weiß es noch nicht, es ist ein bisschen schwierig. Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander und er ist wirklich wunderbar. So lieb und süß und wir können toll reden und … « Sie seufzte. Mit gesenkter Stimme fügte sie hinzu: »Er holt mich auch heute ab. Aber nur, weil ich ein neues Auto brauche und er verhindern will, dass ich wieder so ein Klappergestell wie den Rostigen Richard kaufe.«
»Wow … «, hauchte Lea, konnte sich aber nicht zusammenreißen und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
»Hör auf, mich so anzusehen! Nein, hör auf! Hör auf damit, Lea, ich warne dich! Ansonsten quetsche ich dich mal aus, warum du in letzter Zeit so komisch bist!«
»Komisch? Ich bin doch nicht komisch.«
Maria hob lediglich eine Augenbraue und Lea verstummte.
»Jedenfalls … soll ich dich morgen abholen? Wenn ich einen neuen Wagen habe, könnten wir eine Fahrgemeinschaft gründen. Dein kleines Wägelchen macht es ja sicher auch nicht mehr lange.«
»Hey, nichts gegen mein Auto, das fährt spitze! Aber gut, hol mich ab. Dann kann ich mir gleich selbst ein Bild davon machen, ob dieser Chris Ahnung hat.«
Maria
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