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Dezembergeheimnis

Dezembergeheimnis

Titel: Dezembergeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Richter
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blickte an seinem Oberarm vorbei und damit auf das Bild, welches er eingehend betrachtete. Es hatte ihre Mutter und sie im Garten ihrer Großmutter eingefangen. Das Sommerhaus vom Dorf hatten sie nach dem Tod ihrer Oma verkaufen müssen, doch früher hatte Lea dort immer ihre Ferien verbracht. Wie bei den Fotos über dem Fernseher, war dies einer der seltenen Momente gewesen, in denen sie sich hatte ablichten lassen.
    Es war gegen die Sonne fotografiert worden – ein Indiz dafür, dass Bernhard es geschossen hatte. Ihr Arm war um die Taille ihrer Mutter geschlungen und sie lachte herzlich. Lea hingegen schien sich geradeso ein Lächeln abgerungen zu haben; dabei konnte sie sich deutlich daran erinnern, an diesem Nachmittag wirklich glücklich gewesen zu sein. Sie hatten gegrillt und die Nachbarn eingeladen, obwohl es gar kein besonderer Tag gewesen war. Doch das war eine der Spezialitäten ihrer Mutter: Sie machte aus einfachen Tagen denkwürdige Augenblicke.
    »Siehst du es jetzt? Dass wir grundverschieden sind?«, wollte sie leise von ihrem Kuchenmann wissen. Dieses Bild war nur ein weiter Beweis dafür, dass sie nicht immer ein umgänglicher Mensch war. Sie wusste, dass es auch wesentlich kompliziertere Charaktere gab, dennoch war sie immer noch dickköpfig, misstrauisch und engstirnig genug, um Noels Dasein zu erschweren. Je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurden ihre Schuldgefühle und desto mehr sehnte sie sich danach, wie ihre Mutter zu sein.
    Doch Noel hob den Kopf und sah sie ungläubig an.
    »Lea«, seufzte er. »Du schätzt dich selbst völlig falsch ein. Natürlich seid ihr verschieden, warum sollte etwas anderes auch dein Ziel sein?« Er hielt kurz inne, wobei er mit dem Zeigefinger ihre Person auf dem Foto nachmalte. »Ich weiß, was du denkst, auch wenn ich nicht weiß,
warum
du es denkst. Aber in dieser einen Sache kannst du meine Ansichten nicht ändern.«
    Verwundert sah sie ihm in die Augen, die direkt auf sie gerichtet waren. Er sah sie so eindringlich an, dass sie fast vergaß zu atmen.
    Erde an Lea!
    Während er auf das Bild deutete, sprach er weiter. »Siehst du nicht, wie deine Augen hier leuchten? Du bist nun mal kein ausschweifender, sondern ein schüchterner Typ, doch nur weil du deine Emotionen nicht immer in ihrer gesamten Bandbreite präsentierst, macht dich das doch nicht weniger liebenswert. Du kannst dich anstrengen, wie du willst, aber du wirst mich nicht dazu bringen, wegzugehen. Ich mag noch nicht dein Traummann sein, aber du bist meine Traumfrau und das hat sich auch nicht geändert, seit ich dich besser kennengelernt habe. Im Gegenteil. Und ich will noch viel mehr lernen, ich will alles wissen. Ich will wissen, wann du so lachst«, er hielt ihr das Bild entgegen, »und ich will der Einzige sein, der weiß, wie wundervoll und wertvoll dein richtiges Lachen ist.«
    Für wenige Sekunden sah sie ihn nur blinzelnd an.
    »Weißt du wirklich, was ich denke?«, war alles, was sie über die Lippen bekam.
    Er lachte leicht. »Zumindest hoffe ich, es zu wissen.«
    Sie wich seinem Blick aus und starrte stattdessen wieder auf die Aufnahme. Als sie antwortete, klang ihre Stimme etwas erstickt und nasal. »Ich will nur nicht, dass du deine Zeit mit mir verschwendest. Es gibt sicher Frauen, die sich nicht so anstellen wie ich.«
    Er hob die Hand und streichelte ihr über die Wange.
    »Du scheinst es immer noch nicht zu begreifen, Lea«, sagte er. »Ich bin dein Wunsch.«
    Lea nickte langsam. Ihr wurde ganz warm, denn obwohl die Worte immer noch einen bitteren Beigeschmack hatten, lösten sie in diesem Moment auch ein Gefühl der Zugehörigkeit in ihr aus. Und das mochte sie. Sehr sogar.

Kapitel 11
    Durch Inventur in die hinterste Ecke der Bibliothek verdonnert, starrte Lea unentwegt auf die riesige Uhr über dem Eingang. Immer, wenn sich der Minutenzeiger einen kleinen Ruck nach vorne schob, fokussierte sich ihr Blick auf die Ziffern, nur damit ihre Sicht gleich darauf wieder verschwamm. Es war ja nichts Neues, dass sie dem Feierabend entgegenfieberte; sie hatte sicher schon mehr als hundert Stunden ihrer Lebenszeit damit verschwendet, darüber zu philosophieren, wie eine Uhr von solcher Größe derart leise arbeiten konnte. Aber seit etwa einer Woche war ihre Motivation auf einem solchen Tief angelangt, dass nicht mal eine Bettwanze darunter hätte Limbo tanzen können. Aus der Perspektive ihres ernüchternden Arbeitstages wirkten die vergangenen zwei Tage dazu derart surreal,

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