Dezemberglut
nicht so eingeschätzt und nichts ü b rig für weibische Männer, obwohl er oft ihre Aufmerksamkeit erregte. Vermutlich deshalb.
„Ich will dich kennenlernen“, sagte der Junge ernst.
Damians scharfe Zurückweisung blieb ihm in der Kehle stecken, denn er sah die Freundlichkeit in dem sympathischen Gesicht, zögerte und – egal. Er war in einer seltsamen Stimmung, und warum eigentlich nicht? Reden wäre besser, als heute allein zu sein, und danach würde er den Jungen wegschicken.
Er nahm den Wein und zwei Becher. „Dann komm mit.“
Kurz darauf saßen sie sich in seinem Zimmer gegenüber.
„Wein?“
Der Junge nickte, und Damian schenkte ein.
Damian sah in mitfühlende Augen, so alt und klug, und in ein Gesicht, das ein halbes Lächeln zeigte. Er wusste nicht, dass er noch lernen würde, dieses Lächeln zu lieben. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen und wusste nicht, w a rum.
„Du bist so schön. Und so unglücklich.“ Der Junge war im schwachen Schein der Kerzen kaum zu erkennen, aber seine Augen schienen plötzlich zu glänzen und die Düsternis der Nacht zu durchbrechen. Genau wie sein Herz.
„Schlechte Nachrichten?“ Der Junge deutete auf den Brief, der auf dem Tisch lag. Der Verwalter hatte ihn geschickt.
„Du kannst mir gratulieren. Ich habe heute erfahren, dass ich mein Erbe antr e ten kann.“
„Das freut dich nicht?“
„Nein“, meinte Damian knapp. Und zögerte. Er fragte sich, was dieser Junge an sich hatte, dass er ihm Dinge erzählen wollte, die er noch nie jemandem gesagt hatte. Vielleicht lag es auch an der düsteren Stimmung, in der er sich befand, seit er den Brief erhalten hatte. Und an seinem Plan.
„Meine gesamte Familie ist tot. Wegen eines Fiebers, während ich hier bin und lebe“, begann Damian zögernd. „Mein Vater ist gestorben, ohne dass wir unseren Streit begraben konnten. Ich habe immer gehofft, dass er sich noch schlichten ließe.“ Auch wenn er nicht wusste, wie. Er hatte seine Stiefmutter gehasst, dieses intrigante Geschöpf , nach dem sein Vater verrückt gewesen war . Obwohl er sie stets zurückgewiesen hatte, verließ sie seinen Vater seinetwegen im Streit.
Die Frau, die Damian hatte heiraten wollen, sagte zu ihm : „Du bist ein Liebh a ber, aber kein Ehemann und viel zu schön, um treu zu sein.“ Sie heiratete e inen Mann, der sehr viel älter und reicher war als er.
Nur s ein Bruder war auf seiner Seite gewesen, immer schon. Und dessen Frau, die wie eine ältere Schwester für Damian war. Sie hatten ihren Sohn Damian g e nannt, nach ihm. Er hatte ihnen sofort gesagt, dass sein Name kein gutes Omen war.
Und nun waren sie alle tot, während er für seine Flucht zum Militär mit dem Leben belohnt worden war.
Und er war der Erbe? Erbe wovon?
Er wollte nie wieder zurück, weder nach der nächsten Schlacht, noch wenn der Krieg endgültig vorbei war. Nicht dorthin, wo ihn Gräber und Erinnerungen e r warteten.
Die Schlacht stand bevor. Er hatte nicht vor, sie zu überleben.
Der Junge nickte. Er schien seine Trauer zu erkennen, obwohl er sie nicht nan n te. Damian fand das Schweigen angenehm.
Schließlich stand der Junge auf. „Darf ich wiederkommen?“
Damian nickte, ohne aufzublicken. Der Junge verließ das Zimmer völlig lautlos.
Am nächsten Tag schrieb Damian einen Brief an den Verwalter, der seiner F a milie immer gut gedient hatte. Er fügte sein Testament hinzu.
Damian wusste, dass er für den Tod seiner Familie verantwortlich war, auch wenn er selbst keine Hand angelegt hatte. Er hätte nie geboren werden sollen. Oder anstelle seiner Mutter sterben bei seiner Geburt. Der Vater hatte seine junge Frau zurückgeholt , da war sie bereits krank. Sie starb als erste, dann sein Neffe, der kleine Damian. Es folgte der Vater. Sein Bruder hatte am längsten durchgeha l ten. Wie musste er sich gefühlt haben, als es auch mit ihm zu Ende gegangen war?
Am Abend wartete Damian vergeblich, der Junge kam nicht.
Aber er hatte einen Traum. In diesem Traum kam der Junge zu ihm, und am nächsten Morgen erinnerte er sich an Berührungen, die es nie gegeben haben konnte, weil er sich nie darauf eingelassen hätte.
Es waren Berührungen voller Zärtlichkeit, die ihn glücklich machten auf eine Weise, die er nie erwartet hatte.
***
Nach dem Training war es nicht mehr Damian, der mich nach Hause fuhr. Natü r lich nicht. Auch Daniel bekam ich kaum noch zu Gesicht.
A lles war schiefgelaufen.
Ich saß wieder einmal mit meiner
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