Dezemberglut
seine volle Aufmerksamkeit, und sein Gesicht war alles andere als ausdruckslos, seine Augen alles andere als leer. Das bedeutete aber keine Verbe s serung.
Ich senkte den Kopf, um dem Zorn in seinem Blick auszuweichen. „Ich will lernen, wie man sich vor Vampiren schützt“, sagte ich leise. „Mehr nicht.“ Und nichts mit euch zu tun haben, fügte ich in Gedanken hinzu. „ I ch will so schnell wie möglich nach Hause.“
„Gut. Wir verfolgen also das gleiche Ziel. Du weißt, dass du sofort gehen kannst? Sobald du der Löschung deiner Erinnerungen zustimmst?“
„Ja. Aber das werde ich nicht tun.“ Meine Gründe hatte ich schon Julian g e nannt, und ich wollte sie nicht nochmals mit Damian diskutieren. Dafür machte er mir viel zu viel Angst.
Als er schwieg, hob ich vorsichtig den Blick, nur um ihn hastig wieder abz u wenden. Denn sein Mund lächelte ein Lächeln, das mich an Grausamkeit und Schmerz denken ließ.
„Sieh mich an.“
Ich wagte nicht, mich zu widersetzen.
„ S ei willkommen in meiner Welt“, sagte er leise. „Sobald es Nacht wird, nimmt man mir die Ketten ab , und ich darf frei herumlaufen. Also stell dich d a rauf ein, mir oft zu begegnen.“ Er musterte mich von Kopf bis Fuß. „Übrigens musst du dringend an deiner Fitness arbeiten. Deshalb erwarte ich dich ab morgen zum Training. Mit den Siebzehn. Und das wird kein Pilates-Kurs.“
Er drehte sich um und rauschte davon. Ich hatte das Gefühl, einen eisigen Luf t zug zu spüren. Dieser Kerl war so was von gruselig.
Meine Beine zitterten. Ich schaffte es ins Bad und beugte mich über das Wasc h becken. Mein Kopf schmerzte und mir war entsetzlich übel, aber meine Befürc h tung, mich übergeben zu müssen, bewahrheitete sich diesmal nicht. Langsam b e ruhigte ich mich, denn nun, da er endlich weg war, verschwand meine Angst. Und ich wurde unglaublich wütend. Warum er? Warum nur hatte Julian ausgerechnet ihn zu meinem Mentor bestimmt? Ich hatte geglaubt, Julian wäre anders. Dass er mir helfen wollte und so etwas wie Mitgefühl besaß. Stattdessen hatte er mir Damian als Mentor verpasst, bevor er sich für dieses Arkanum zum Schlafen le g te, und sein Wecker würde frühestens in zwei Monaten klingeln.
Was konnte ich bloß tun? Zu wem sollte ich gehen, mit wem reden? Sarah? Wir waren Julian nach unserem Gespräch zufällig im Flur begegnet, und sie war kurz davor gewesen, vor Hochachtung auf die Knie zu sinken, ich hatte es selbst ges e hen. Und vor Damian schien sie ebensolche Angst zu haben, wie ich, sonst hätte sie ihm nicht einfach ihre Wohnung überlassen. Und mich dazu.
Oder sollte ich mich bei Damian über Damian beschweren?
Mein Zorn wurde größer. Ich hasste und ich fürchtete ihn. Spürte den Impuls, mich für seine Grausamkeit von eben, mir absichtlich Angst einzujagen, zu rächen und wusste, dass es unmöglich war.
Auf was hatte ich mich bloß eingelassen?
***
Die Dunkelheit pochte an, als Damian erwachte.
Er überlegte, ob er nach Hamburg fahren sollte. In Berlin war er in den letzten Nächten so oft erfolglos unterwegs gewesen, dass es keinen Sinn machte, erneut auf Dämonenjagd zu gehen. Dann fiel ihm ein, dass ihn bald ganz andere Aufg a ben erwarteten. Das Training der Siebzehn. Sofort kam ihm Charis in den Sinn , deren Mentor er nun war , doch e r war nicht in der Lage, diesen Gedanke weite r zuverfolgen.
Denn eine Flut von Bildern stürmte auf ihn ein, ohne dass er sich dagegen we h ren konnte. Einige so flüchtig, dass er keines von ihnen fassen konnte, andere brannten sich mit ungeheurer Wucht in sein Gedächtnis. Sie folgten schnell und heftig aufeinander, und es waren viele, eines schrecklicher als das nächste. Damian spürte einen furchtbaren Schmerz, einen verzweifelten Widerstand, eine Gege n wehr, die bereits viel zu lange andauerte und immer mehr an Wirkung verlor. En t setzen, Todesfurcht. Augen, so rot … er sah einen Körper, der sich auf einen anderen legte. Einen Kuss. Ein letztes, aussichtsloses Aufbäumen, ein Blick aus weit aufgerissenen, hellblauen Augen, die zu suchen schienen und ihn fanden. „Du. Du bist es! Er will dich …“
Die Vision verlor abrupt an Kraft.
Damian setzte sich auf. Sofort verspürte er ein ziehendes Brennen und einen stechenden Schmerz, der durch die Narben in seinem linken Unterarm schoss. Er erhob sich, zog sich hastig an und ging hinaus in die Dunkelheit , wo er die Straße und den Berufsverkehr beobachtete und zusah , wie die Menschen ihren
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