Dezemberglut
sah, wie sich ihre Wangen röteten.
„Ja, das bin ich.“
„Wie hast du ihn kennengelernt?“
„Durch meine Arbeit als Psychotherapeutin. In einer Klinik. Es ging um Chri s tian, Richards Freund.“
Ich hatte Christian ja schon kennengelernt. Er tat bei jeder Begegnung so, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen . Vielleicht konnte er sich mein Gesicht wirklich nicht merken, weil er immer nur mit Richard zusammenklebte und nur Augen für Vampire hatte.
„Christian war von einem Dämon besessen“, erzählte Ellen, „er wurde in die Klinik gebracht, in der ich arbeite. Julian hatte den Dämon ausgetrieben.“
Dämonen. Auch wenn ich schon von ihnen gehört hatte und ihre Existenz, wie die von Vampiren, nicht länger anzweifelte, konnte ich mir schwer vorstellen, dass es etwas geben sollte, was noch gefährlicher als ein Vampir sein sollte.
„Dann wurde ich in den Kampf zwischen Julian und Gregor hineingezogen. Als Gregor mich entführte, hatte Julian mich befreit.“
„Du bist auch von Gregor entführt worden?“
Ellen nickte.
Das also hatten wir gemeinsam.
Wir sprachen lange. Über Vampire. Gregor und Martin. Meine Gefangenschaft. Und ihre Entführung. Über die Gemeinschaft der Vampire. Wir redeten, bis es dunkel wurde und Ellen noch weitere Kerzen anzündete. Bevor Julian sie aufsp ü ren und befreien konnte, war es Ellen gelungen, sich gegen Gregor zu wehren. Gegen seinen Vampirblick , obwohl es so schwer war, diesem zu widerstehen.
Schließlich erzählte mir Ellen von ihrer Gabe . Sie konnte Gefühle und Selbs t wahrnehmung von Menschen erkennen, wenn sie sie berührte. Noch vor wenigen Wochen hätte ich über Ellens Erzählung gelacht. Inzwischen gab es kaum noch etwas, was ich unmöglich fand. Zumal Ellen eine Frau zu sein schien, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, hatte ich keinen Zweifel an ihren Wo r ten. Im Gegenteil, sie berührte n mich sehr. „Kann ich dir ein Geheimnis anve r trauen?“, fragte ich vorsichtig.
Ellen nickte.
Ihre Geschichte hatte mich ermutigt, ihr etwas zu erzählen, über das ich eigen t lich gar nicht nachdenken wollte. „Ich weiß, was sie fühlen“, sagte ich endlich. „Vampire. Wenn ich sie berühre.“
Wir staunten uns an.
„Wie lange weißt du schon da von?“, fragte sie.
„Seit der Entführung. Schließlich bin ich früher nie einem Vampir begegnet, das glaube ich jedenfalls.“
„Vielleicht wurde diese Fähigkeit erst durch dein Erlebnis ausgelöst“, überlegte Ellen laut. „Vielleicht solltest du mit deinem Mentor Damian darüber sprechen und herausfinden, was es damit auf sich hat.“
Ich zögerte.
„Du vertraust ihm doch?“, fragte Ellen vorsichtig.
„Ja.“ Egal, was sonst zwischen uns war – als Mentor hatte er mich bisher immer unterstützt.
Ellen erzählte mir, dass es ihr dank Julian inzwischen viel leichter fiel, ihre Gabe zu akzeptieren, anstatt sie zu verleugnen. „Magst du mir deine Hand geben?“
Ich streckte sie aus, und sie hielt sie sanft.
„Du bist viel stärker, als du glaubst, Charis“, meinte sie nur, aber das Mitgefühl in ihrem Gesicht trieb mir Tränen in die Augen. Ich wünschte mir, mehr wie Ellen zu sein. Mit d ies em Selbstvertrauen, das sie ausstrahlte , und ihre r ruhige n Kraft.
„Kann es vielleicht sein, dass du dir die Verletzungen, die dir Gregor zugefügt hatte, nun selbst beibringst?“, fragte sie unvermittelt.
„Hast du mit Damian über mich gesprochen?“, fragte ich gekränkt.
Aber Ellen schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe noch nie mit ihm gesprochen. Aber ein solches Verhalten wäre alles andere als ungewöhnlich. Vielleicht hast du das Gefühl, dass du dich immer noch vor Gregor schützen musst?“
„Nein“, meinte ich ärgerlich. Gregor ist tot. Er hat keine Macht mehr über mich.“
Ellen nickte ernst. „Es ist nur eine Idee, Charis“, meinte sie sanft. „Ein Geda n ke, nicht mehr.“
Ich war froh, dass sie meinen Widerspruch akzeptierte, ohne beleidigt zu sein.
Was Ellen mir über ihren Widerstand gegen Gregor erzählt hatte, gab mir Hof f nung. Es war also tatsächlich möglich, sich gegen den Vampir b lick zu wehren. Wenn Ellen es konnte und es keine einmalige Gabe war, konnte ich es ebenfalls lernen. Und was noch viel besser war – ich mochte Ellen sehr, und als wir uns schließlich verabschiedeten, hatte ich das Gefühl, in ihr eine Freundin gefunden zu haben.
Auf dem Weg zur S-Bahn ging ich vorbei an weihnachtlich geschmückten Fen s terscheiben,
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