Dezemberglut
wichtig ist.“
Ihre Blicke trafen sich. Kurz spürte er ihre unverschleierte Wut. Dann lachte sie erneut. Etwas zu laut und zu schnell. „Gerade du solltest etwas Spaß verstehen.“
„Spaß?“ Damians Augen verengten sich. „Sie hatte Todesangst. Weißt du nicht, was sie in ihrer Gefangenschaft erlebt hat? Sie und alle anderen dort in der Halle?“
„Die Kleine überschätzt sich bei Weitem. Und das habe ich ihr gezeigt.“ Louisa stand auf und trat dicht vor ihn. „Es ist lange her, Damian. Viel zu lange.“ Ihre Hände fassten das Revers seiner Lederjacke, und ein perfektes Gesicht mit hohen Wangenknochen hob sich ihm entgegen.
Spontan trat er einen Schritt zurück. Louisa fing seinen Blick, er wich nicht aus, und sie ergründeten und verstanden einander.
Louisa blieb, wo sie war, aber sie konnte ihren Schmerz nicht verbergen. Und Damian spürte ihn ebenfalls. Zum ersten Mal. Es hatte ihn stets erleichtert, dass Louisa ihre Gefühle abschirmen konnte. So wie er selbst. Nun fühlte er ihr U n glück, diesen Mangel, dieses bodenlose Loch in ihrem Herzen, das einfach nicht zu stopfen war. Jedenfalls nicht durch ihn. Vermutlich war der Schmerz immer schon da gewesen, aber er hatte sich nie dafür interessiert, sich nie ihren Gefühlen geöffnet. Sie war für ihn nie mehr als ein attraktiver Körper gewesen mit einem Geist, der sich nicht aufdrängte und ihm verschlossen blieb. Darüber, wie es in ihrem Inneren aussehen könnte, hatte er sich nie Gedanken gemacht. D ass sich sein Gewissen ausgerechnet jetzt in so ungewohnter Weise meldete, war nicht nur lästig, sondern absolut sinnlos.
Sie hatten alle ihre speziellen Fähigkeiten, und seine war es zu heilen, eine F ä higkeit, die Sebastian ihm übertragen hatte. Aber nicht diese Art von Verletzu n gen, nicht diesen Schmerz. Er war ganz sicher nicht der, der ihre Sehnsucht stillen konnte. Und wollte. Aber er durfte ihr nichts von dem, was jetzt in ihm vorging, zeigen, vor allem kein Mitleid , sonst würde ihr Zorn auf Charis noch größer we r den. E r würde sie nicht immer schützen können.
Damian zog leicht die Brauen nach oben. Er kannte die arrogante Wirkung, sie war beabsichtigt. „Wenn du glaubst, noch immer eine … gewisse Vorliebe für mich zu haben, kann ich das nicht ändern.“ Sein Gesichtsausdruck blieb au s druckslos. „Was meine Absichten betrifft, bin ich weder geheimnisvoll noch u n klar. Und wenn du anfängst, deine Enttäuschung an den Jungen und Vertrauten auszulassen, werde ich das nicht dulden.“
Louisa bewegte nervös ihre Finger, die sie miteinander verhakt hatte. „Die Kle i ne ist dir ganz schön wichtig“, höhnte sie.
„Sie ist ein Auftrag, Louisa. Eine Verpflichtung“, sagte er kühl. „Ich stehe bei Julian im Wort.“
„Komm schon. Du bist doch kein Kindermädchen. Ich dachte, wir wären auf der gleichen Seite. Und dass du Julians Wünsche und Ansprüche alles andere als teilst und ernst nimmst.“
Damian schüttelte langsam den Kopf. Ohne darüber nachzudenken, holte er zu einer der längsten Reden aus, die er je gehalten hatte.
„Ich habe Julian mein Wort gegeben. Also bin ich gebunden. Davon abgesehen geht dich mein Verhältnis zu ihm nicht das Geringste an. Du würdest es sowieso nicht verstehen. Auch wenn ich nicht oft seiner Meinung bin, solltest du meine Loyalität nie infrage stellen – er ist unser Anführer, er ist es, der uns die Kraft gibt, die wir brauchen.“ Und ich würde für ihn sterben, fügte er in Gedanken hinzu, auch wenn er Julian nie wieder sein eigenes Leben anvertrauen würde. Julian lag so viel mehr daran, als ihm selbst. „Wenn du also an meiner Loyalität für ihn und die Gemeinschaft zweifelst, kennst du mich wirklich schlecht.“
„Du glaubst nicht, wie sehr mich das Ganze hier manchmal anödet.“
Damian spürte die Wut, die still in Louisa brannte.
„Manche finden in der Gemeinschaft Sicherheit, andere Gesellschaft.“ Er sprach ruhig , aber mit warnendem Unterton . „Mir hilft sie bei meiner Lieblingsb e schäftigung, der Jagd nach Dämonen. Und, nicht zu vergessen, mich vor mir selbst zu schützen. W as dich hier hält, Louisa, weißt nur du allein. Die Siebzehn brauchen Hilfe. Die Form von Hilfe, die wir beide nach unserer Wandlung ganz selbstverständlich erhalten haben. D ass Julian ausgerechnet mir den einzigen Menschen unter Gregors Opfern zugeteilt hat, finde ich genauso unverständlich wie du. Mindestens. Aber ich werde meinen Auftrag ausführen. Dazu
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