Dezembersturm
darauf, ob diese auch für sie bestimmt waren, und starrte etwas verwirrt auf die dezent gestreifte Krawatte, die Lore für Thomas Simmern gekauft hatte.
»Die gehört mir aber nicht«, befand die Kleine folgerichtig und legte sie wieder in die Schachtel zurück, während Lore vor Verlegenheit so rot wurde wie eine reife Kirsche.
»Ich hoffe, die Krawatte gefällt dir, Onkel Thomas. Mein Vater hat ähnliche getragen.« Sie sah Simmern dabei so ängstlich an, als erwarte sie, er würde ihr das Geschenk mit einem Ausdruck der Verachtung vor die Füße werfen.
»Sie ist sehr geschmackvoll, und ich werde sie gerne tragen«, antwortete er lächelnd.
Während Lore aufatmete, entdeckte Nati die von Lore bestickten Taschentücher. »Die sind auch sehr schön«, erklärte die Kleine. »Schaut her, hier sind meine Initialen und eine Grafenkrone. Diewerde ich gerne benützen!« Sie versuchte dabei Onkel Thomas’ Tonfall nachzuahmen und rief damit bei den anderen Gelächter hervor.
Nati ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, sondern sah Lore auffordernd an. »Jetzt musst du deine Geschenke auch auspacken!«
»Genau«, stimmte Onkel Thomas ihr zu und zeigte auf mehrere große Kartons, an denen Kärtchen mit Lores Namen hing.
Lore zögerte, doch Prudence, die gelernt hatte, dass Zögern in einer großen Familie bedeutete, immer zu kurz zu kommen, schob sie einfach auf den Tisch zu.
»Schau dir die Sachen an. Mary und ich werden es auch tun.«
»Und Konrad«, setzte Mary mit einem kurzen Blick auf Thomas Simmerns Kammerdiener hinzu.
»Freilich packen wir aus!« Konrad eilte an ihre Seite und half ihr, die paar Schritte zum Tisch ohne die Hilfe ihrer Krücken zurückzulegen. Auch nahm er gleich die beiden Päckchen, die Marys Namen aufwiesen. Allerdings wartete diese auf Lore, die mit zittrigen Händen das erste Paket ö?nete und fassungslos auf einen warmen Pelzmantel starrte. Er war so modisch, wie selbst Ottokar von Trettins Frau Malwine keinen besaß. Lore wunderte sich, dass sie ausgerechnet in diesem Augenblick an ihre unangenehme Verwandte denken musste, und verscheuchte die Frau aus ihren Gedanken.
»Aber der ist doch viel zu wertvoll für mich«, entfuhr es ihr.
»Der ist gar nicht zu wertvoll für meine beste Freundin«, erklärte Nati resolut. »Außerdem hast du mein Leben gerettet, und dein alter Mantel war viel zu dünn. Also habe ich Onkel Thomas gesagt, dass du etwas Warmes brauchst!«
»Danke!« Lore wagte nicht, Thomas Simmern dabei anzusehen. Einen Menschen wie ihn hatte sie wirklich noch nicht kennengelernt. Wenn sie einmal heiraten sollte, musste es ein Mann wieer sein. Bei dem Gedanken zuckte sie zusammen. In weniger als vier Monaten wurde sie sechzehn, und ab diesem Alter konnten Mädchen heiraten. Ihr Großvater hatte bereits angedeutet, dass er so lange zu leben wünsche, bis er sie unter die Haube bringen konnte. Das Schicksal hatte jedoch anders entschieden. Jetzt sah sie Thomas Simmern verstohlen an und fand, dass er jünger wirkte, als sie zunächst gedacht hatte. Es waren wohl doch nur die Sorgen um Nati gewesen, die ihn damals gezeichnet hatten. Sie versuchte, noch einmal sein Alter zu schätzen, und kam auf Mitte dreißig. Das war zwar gut doppelt so alt wie sie selbst, aber es war sicher kein Schaden, wenn ein Mann weise und erfahren war, um seine Ehefrau lenken zu können.
Er war ein ansehnlicher Mann, wie sie ihn sich besser nicht wünschen konnte. Gut eine Handbreit größer als sie, war er schlank, aber kräftig, er hatte Hände, mit denen er sowohl zupacken wie auch sanft streicheln konnte. Sein Gesicht wirkte mit dem modischen Backenbart angenehm, und wenn er Nati ansah, lag in seinen Augen ein so zärtlicher Schimmer, dass Lore sich wünschte, sein Blick würde ihr gelten.
Doch würde er sie überhaupt mögen?, fragte sie sich. Bis jetzt ließ nichts erkennen, dass er in ihr mehr sah als Natis große Freundin. Außerdem war sie ein Niemand und zudem arm. Er hatte gewiss etwas Besseres verdient als sie.
»Du musst auch noch die anderen Päckchen aufmachen!« Natis drängender Ruf brachte Lore dazu, ihre Gedanken bezüglich Thomas Simmerns vorerst beiseitezuschieben. Sie ö?nete den zweiten Karton und fand darin eine schmale Goldkette, an der ein kleines Rubinherz hing.
»Das ist von mir«, erklärte Nati stolz. »Ich habe Onkel Thomas gesagt, was ich als Geschenk für dich haben will, und er hat es sofort gekauft!«
Lore war es geradezu peinlich, so reich beschenkt zu
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