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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Gehsteig keine Chance, Edwin einzuholen, und bis er die Polizei alarmieren konnte, war die Ratte bestimmt schon im nächsten Loch verschwunden.
    Thomas Simmern kam erst nach einer guten Viertelstunde zurück und brachte einen Polizisten mit, der mit unbewegter Miene Lores und seine Aussage aufnahm und versprach, diese an Scotland Yard weiterzuleiten. Dadurch verstrich eine Menge Zeit, und so musste sich die Gruppe ohne Abendessen ins Theater begeben. Es wurde kein besonders erfolgreicher Abend, denn der Vorfall hatte in allen neue Ängste und wilde Vermutungen geweckt. Jedem wäre eher zum Reden zumute gewesen, als still zu schauen und zuzuhören. Doch als sie sich später über die Sache unterhielten, merkte Lore rasch, dass es zwar viele Fragen gab, aber keine einzige Antwort. Im Grunde waren sie wie blind und mussten warten, bis Ruppert zuschlug. Das war eine höchst unangenehme Vorstellung.
    Auch die nächsten Tage brachten keine neuen Erkenntnisse. Edwin blieb spurlos verschwunden, und weder Onkel Thomas noch dem Inspektor von Scotland Yard gelang es herauszufinden, was Rupperts Handlanger ausgerechnet in dem Bürogebäude gesuchthatte, in dem der Repräsentant des Norddeutschen Lloyd residierte. Den Aussagen der Angestellten des NDL zufolge hatte er keinen von ihnen aufgesucht, und auch die anderen Schiffsmakler, die in dem Haus ihre Büros hatten, bestritten, den Mann empfangen zu haben.
    Als Onkel Thomas diese Nachricht brachte, herrschte erst einmal Schweigen. Schließlich meldete Lore sich zu Wort: »Aber aus irgendeinem Grund muss Edwin doch in dieses Gebäude gegangen sein!«
    Thomas Simmern nickte. »Da hast du recht. Aber da niemand ihn empfangen hat, glaubt die Polizei, dass er durch die Begegnung mit dir daran gehindert worden ist, sein Vorhaben auszuführen, und stattdessen Fersengeld geben musste.«
    Es hörte sich so schlüssig an, dass Lore es glauben wollte. Dann aber fiel ihr ein, dass Edwin aus dem Inneren des Hauses gekommen war, und sie wurde wieder unsicher. »Sind die Schiffsmakler beim Norddeutschen Lloyd auch zuverlässig? Es könnte ja sein, dass einer von ihnen gelogen hat.«
    Onkel Thomas überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. »In die Köpfe der Menschen kann ich natürlich nicht hineinschauen. Aber keine Angst, junges Fräulein. Was auch immer Edwin in diesem Gebäude wollte – Scotland Yard wird es herausfinden.«
    Eigentlich wollte Thomas Simmern Lore und die anderen damit beruhigen, doch er merkte rasch, dass auch er sich an diese Hoffnung klammerte. Gleichzeitig versuchte er, sich in Ruppert hineinzuversetzen. Der Mann war hier in England gescheitert und musste zusehen, in für ihn ungefährlichere Gefilde zu kommen. Daher hielt Simmern es für möglich, dass Edwin in seinem Auftrag nach einer Reisemöglichkeit hatte fragen sollen. War dies der Fall gewesen, hatte Edwins Begegnung mit Lore eher negative Folgen, da er nicht mehr dazu gekommen war. Simmern wäre eslieber gewesen, Ruppert in einem abgelegenen Teil der Welt zu wissen. Natis Verwandter war zwar ein Verbrecher, doch der Skandal, den seine Verhaftung und Verurteilung mit Sicherheit nach sich zogen, würde weite Kreise ziehen und vielleicht sogar die Reederei selbst erschüttern.
    »Ihr braucht keine Angst vor Ruppert zu haben. Bis wir England verlassen, sitzt er schon längst auf irgendeinem Schrottdampfer, dessen Kapitän es mit den Papieren seiner Passagiere nicht so genau nimmt, und befindet sich auf dem Weg in ein weitentferntes Versteck.«
    »Ich möchte, dass er zu den Botokuden geht«, erklärte Nati mit Nachdruck. Sie hatte den Namen dieses Volksstammes einmal von Konrad gehört und hielt ihn für einen schlimmen Ort, der so weit entfernt war, dass Ruppert nicht zurückkehren konnte.
    Die anderen amüsierten sich darüber, und Mary und Prudence wetteiferten miteinander, sich möglichst abgelegene und hässliche Orte auszudenken, an die sie Ruppert schicken wollten. Schließ-lich blickte Prudence die anderen mit blitzenden Augen an. »Ich will, dass er nach Sankt Helena geschafft wird, wie dieser grässliche Napoleon. Dort wäre er meiner Meinung nach gut aufgehoben!«
    Lore hatte sich nicht an den spielerischen Überlegungen beteiligt und schüttelte nun heftig den Kopf. »Um Ruppert irgendwo hinschaffen zu können, müssten wir erst einmal wissen, wo er sich aufhält, und dann müsste die Polizei ihn auch noch verhaften.«
    »Keine Sorge! Wenn er länger in England bleibt, wird dies zwangsläufig

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