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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sie seine Sorgen jetzt umso besser und gestand sich ein, dass sie an seiner Stelle auch nicht anders gehandelt hätte.
    Der Schreiber beschimpfte Onkel Thomas als widerlichen Schnüffler und Wahrheitsverdreher, und er drohte ihm, ihn, das Luder Nati und seinen gesamten Anhang noch in England vom Leben zum Tode zu befördern, falls er ihm nicht das Testament des alten Leuteschinders ausliefern würde. Darüber hinaus forderte er eine von einem Notar beglaubigte Ehrenerklärung, mit der er in Deutschland jeder Verleumdung entgegentreten könnte. Damit und mit einem gefälschten Testament – das war leicht zwischen den Zeilen zu lesen – könnte Ruppert sich mühelos in den Besitz des Retzmannschen Vermögens setzen. Auch hatte er die Stirn, den verräterischen Brief zurückzufordern, den er wahrscheinlich mit der linken Hand geschrieben hatte, denn die Buchstaben sahen aus, als hätte sie ein des Schreibens ungewohnter Mensch einzeln zu Papier gebracht.
    Lore schauderte bei dem Hass, der aus diesem Machwerk floss. Der Mann war ein wahnsinniges Ungeheuer, ganz gleich, was Onkel Thomas sagte. Während sie über das infame Schreiben nachdachte, kam Thomas ins Zimmer, um ihr die nächsten Briefe zum Abschreiben zu bringen. Lores erschrockenes Gesicht alarmierte ihn, doch die Frage nach dem Grund erübrigte sich, als er Rupperts Pamphlet in ihrer Hand sah.
    »Habe ich den infamen Wisch etwa in den anderen Unterlagen liegen lassen?«, fragte er. »Eigentlich wollte ich euch damit nicht noch mehr ängstigen. Aber ich sehe, du nimmst das Ganze recht ruhig auf. Das erleichtert mich. Ich glaube allerdings nicht, dass dieser Erguss wirklich ernst zu nehmen ist. Es klingt eher danach, als sähe Ruppert seine Felle davonschwimmen. Ich werde diesen Brief nach den Feiertagen zu Scotland Yard bringen und den Inspektor bitten, unsere Bewacher bei uns zu lassen, bis wir die Planken eines Schiffes unter den Füßen haben. Auch wenn Ruppert diesen Brief nicht unterschrieben hat, so sind doch genug Einzelheiten darin, die ein Außenstehender nicht wissen kann.Damit habe ich einen weiteren Beweis in den Händen, den ich in Bremen gegen ihn verwenden kann. Indirekt hat er darin den Mord an meinem Freund und Mentor Graf Retzmann zugegeben. Das wird ihm auch in Deutschland das Genick brechen!«
    Simmern nahm Lore den Brief aus der Hand und steckte ihn ein, um eine zuversichtliche Miene bemüht. »Mach dir also keine allzu großen Sorgen und achte darauf, dass Nati fröhlich bleibt. Aber da du dich für die neuesten Nachrichten interessierst, solltest du dich weiterhin mit den Zeitungsausschnitten beschäftigen. Dann hast du Nati gegenüber eine Ausrede, wenn du hie und da etwas nachdenklich wirkst!«
    Lore nickte. »Das werde ich tun, Onkel Thomas. Die Berichte über den NDL und die
Deutschland
interessieren mich wirklich. Glaubst du, dass Kapitän Brickenstein bestraft wird?«
    »Das Urteil des Kammergerichts wird voraussichtlich Ende Januar verkündet. Aber es spricht keine Strafe aus wie ein normales Gericht, und Kapitän Brickenstein fällt auch nicht unter die englische Jurisdiktion. Sie können ihm schlimmstenfalls nur verbieten, jemals wieder ein Schiff in englischen Gewässern oder in denen englischer Kolonien zu führen. Das würde allerdings das Ende seiner Karriere als Hochseekapitän bedeuten, denn danach könnte er höchstens noch ein Ausflugsschiff oder einen Küstenfrachter in der Ostsee führen, und auch das nur, falls man ihm nicht auch in Deutschland das Patent aberkennt. Aber ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird. Schließlich ist er in einen Wintersturm von ungewöhnlicher Heftigkeit geraten. Das wird man bei dem Urteil gewiss berücksichtigen. Ich hoffe es zumindest für ihn.«

XI.
     
    Auch im fernen Ostpreußen war Weihnachten gefeiert worden. Ottokar von Trettin und seine Frau wurden zwar von niemandem bedroht, dennoch wirkten die Mienen der beiden an den Tagen nach dem Heiligen Abend und dem Weihnachtsball am ersten Feiertag alles andere als zufrieden.
    »Es war eine Unverschämtheit der Gräfin Elchberg, uns so zu schneiden«, giftete Malwine.
    Ottokar nickte verärgert. »Allerdings. Und auch der Graf hat sich nicht wie ein Ehrenmann verhalten. Wagte er doch zu behaupten, auf Elchberg werde kein Hund so begraben wie der alte Gutsherr auf Trettin. Dafür hätte ich ihn am liebsten zum Duell gefordert!«
    Malwine wusste ebenso wie er, dass unter den gestandenen Gutsbesitzern Ostpreußens ein Duell als eine

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