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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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kluges Kind!«, lobte er sie. Den Zusatz »und ein wenig vorlaut« behielt er jedoch für sich. Trotzdem fand er Nati nett.Gegen den jüngeren Sohn seines Vetters Ottokar war sie auf jeden Fall ein Engel, und seinen älteren Neffen nannte er schon lange das Teufelsbalg.
    Nati war stolz auf das Lob und trank brav die Limonade, die Konrad ihr hinstellte. Als sie fertig war, sah sie Fridolin Aufmerksamkeit heischend an. »Verstehst du jetzt, dass wir uns vor dem Schweinehund Ruppert in Acht nehmen müssen?«
    »Der Kerl scheint ja ein äußerst übler Schurke zu sein. Ein so kaltblütiger Mord an seinem Großvater …«
    »Der wahrscheinlich gar nicht sein Großvater war«, unterbrach Konrad ihn. »Verzeihen Sie, wenn ich mich einmische, doch es bestehen erhebliche Zweifel, dass Ruppert wirklich ein Nachkomme des ältesten Sohnes von Graf Retzmann ist. Seine Mutter hatte nicht den besten Leumund. Mehr will ich wegen der anwesenden Fräuleins nicht sagen.«
    »War seine Mutter auch eine russische Hure?«, fragte Nati und vergaß dabei ganz, dass sie wegen dieses Ausspruchs schon einmal zu Zimmerarrest verurteilt worden war.
    Lore wollte sie zurechtweisen, doch da legte Konrad ihr mit einem Zwinkern die Hand auf den Arm. »Nein, Komtess Nathalia, das war Rupperts Mutter nicht. Sie war etwas noch viel Schlimmeres, das man noch weniger erwähnen darf als das andere.«
    Nati nickte beeindruckt. »Auf alle Fälle ist Ruppert ein Schweinekerl!«, wiederholte sie und überließ es dann Lore, Fridolin die genauen Informationen zu geben.

III.
     
    Es war bereits Essenszeit, als Lore ihren Bericht beendet hatte. Daher lud sie Fridolin ein, bei ihnen zu bleiben, und ließ in der Suite servieren. Auf ihre Weisung musste sich auch Konrad hinzusetzen und von den Hotelpagen bedienen lassen. Während des Essens beobachtete Fridolin mit einem gewissen Vergnügen Nathalias ausgezeichnete Tischmanieren, die zu kopieren sich Prudence sichtlich bemühte. Auch Lore benahm sich so, als wäre sie es gewohnt, in hohen Kreisen zu verkehren. Im Grunde war sie es auch, berichtigte er sich. Solange der alte Herr der Besitzer des Gutes gewesen war, hatte er streng auf gutes Benehmen geachtet, und selbst im Jagdhaus hatte Lore aller Armut zum Trotz so tun müssen, als befänden sie sich auf einem Adelssitz.
    In jedem Fall erschien sie ihm weitaus selbstsicherer und erwachsener als früher. In wenigen Monaten würde sie sechzehn sein und damit ein Alter erreicht haben, in dem andere Mädchen Bälle besuchen durften. Aber sie würde nie die Vergnügungen kennenlernen, die ihr als Nachkommin eines alten Geschlechts eigentlich zustanden. Es war ein Trauerspiel, wie die Familie zerfiel, sagte Fridolin sich. Daran war im Grunde nur Ottokars Gier schuld. Wäre dieser der Neffe gewesen, den der alte Herr verdient hatte, so könnte Lore noch immer vergnügt in Ostpreußen leben und müsste nicht vor einem verrückten Waffenschmuggler auf der Hut sein. Er überlegte, ob er ihr berichten sollte, was er von Florin über den Tod ihrer Eltern und Geschwister erfahren hatte, entschloss sich dann aber, es vorläufig nicht zu tun. Lore hatte genug Schwierigkeiten, da sollte sie nicht auch noch diese Last tragen müssen.
    Das Mittagessen verlief harmonisch. Fridolin beging nicht den Fehler, Nati wie ein kleines Kind zu behandeln, sondern hörte ihr aufmerksam zu, wenn sie etwas sagte. Zwar war sie vorlaut undarg besitzergreifend, aber sie besaß einen natürlichen Charme und hing wirklich an Lore. Da beide Waisen waren, trösteten sie sich wohl gegenseitig über den Verlust der geliebten Angehörigen und in Lores Fall auch der Heimat hinweg.
    Mary beteiligte sich ebenfalls an dem Gespräch, und da auch Konrad hie und da etwas einwarf, ging die Zeit rasch dahin, und ehe sie es sich versahen, kehrte Thomas Simmern zurück. Dieser wunderte sich ein wenig über die fröhliche Schar, freute sich aber gleichzeitig darüber und dankte Fridolin im Geheimen dafür, dass er Nati, Lore und die anderen aufgeheitert hatte.
    »Darf ich mich dazusetzen?«, fragte er, während ein Hotelpage den von ihm bestellten Kaffee brachte. »Sie bleiben doch hoffentlich noch ein wenig«, bat er Fridolin, der sein Auftauchen als Signal ansah, aufbrechen zu müssen.
    »Wenn es Ihnen recht ist, sehr gerne.« Fridolin sah dabei Lore an, doch diese wartete, bis Thomas Simmern Antwort gab.
    »Es macht uns selbstverständlich nichts aus. Sonst hätte ich Sie doch nicht darum gebeten. Page, einen

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