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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Sicherheit. Wenn der Mann zu aufdringlich wird, lasse ich ihn verhaften. Ich nehme an, dass er doch einer aus Rupperts Bande ist und nur diesen Namen vorschiebt, um Informationen zu erlangen. Ruppert weiß ja, dass du Wolfhard von Trettins Enkelin bist.«
    Diese Überlegung schien Lore schlüssig. Trotzdem wollte sie mehr über diesen Fremden wissen. »Du sagtest, du hättest ihn gesehen. Wie sieht er denn aus? Ist er etwa um die vierzig, mittelgroß, ziemlich breit gebaut und mit starkem Bauchansatz? Hat er eine Stirnglatze?«
    »Dieser Mann ist es gewiss nicht. Es handelt sich im Gegenteil um einen noch ziemlich jungen Mann, etwas größer als ich, schlank, mit einem schmalen Oberlippenbärtchen. Beinahe hatte ich den Eindruck, er würde sich wirklich Sorgen um dich machen.«
    Lore schüttelte ratlos den Kopf, begann dann aber vor Erleichterung zu lachen. »Das kann wirklich nicht mein Onkel Ottokar sein. Der Mann war der Grund, weswegen mein Großvater mich aus Ostpreußen weggeschickt hat. So, wie du den Fremden beschreibst, könnte es sich um meinen jüngeren Onkel Fridolin von Trettin handeln. Aber wie käme der dazu, mich hier in England zu suchen?«
    »Wie mir der Mann, den er immer aufsucht, berichtete, nannte der Fremde sich tatsächlich Fridolin von Trettin.« Thomas Simmern wunderte sich über Lores Lachanfall, der so gar nicht zu ihr zu passen schien.
    Dieser Meinung war wohl auch Nati, denn sie stürzte in das Zimmer, setzte sich auf Lores Schoß und griff nach deren Kragensaum.
    »Was lachst du denn so?«
    »Hatte ich dich nicht gebeten, Lore und mich einen Augenblick allein zu lassen?«, fragte Onkel Thomas mit leichter Schärfe.
    Nati winkte ab. »Ich habe euch sogar mehr als einen Augenblick allein gelassen. Aber jetzt will ich wissen, warum Lore lacht.«
    »Das tun Frauen manchmal, wenn sich ihre Anspannung löst«, erklärte Onkel Thomas, während Lore noch immer vor Lachen die Tränen aus den Augen traten.
    »Aber warum war Lore angespannt?«, bohrte die Kleine nach.
    Lore wechselte einen kurzen Blick mit Onkel Thomas und zog dann Nati an sich. »Onkel Thomas hat geglaubt, einer von Rupperts Banditen würde nach mir suchen. Aber so wie es aussieht, ist es mein Onkel Fridolin.«
    »Dein Onkel? Den schicken wir weg!« Natis missmutiger Gesichtsausdruck zeigte deutlich, was sie von Verwandten hielt, die ihren Besitzanspruch auf Lore gefährden könnten.
    »Das wäre ungehörig. Der Mann wird sich sicher große Sorgen um Lore machen«, belehrte Thomas Simmern sie.
    Dann wandte er sich an Lore. »Soll ich ihm die Nachricht gebenlassen, dass er dich hier erreichen kann? Lange hat er dazu nicht mehr Zeit, denn das Seegericht will morgen oder übermorgen seinen Spruch wegen des Untergangs der
Deutschland
fällen. Danach muss ich so rasch wie möglich nach Southampton reisen und von dort nach Deutschland zurückkehren.«
    Lore überlegte kurz, ob Fridolin wohl in Ottokars Auftrag kam, um nach ihr zu suchen, verwarf diesen Gedanken aber sogleich. Die beiden Vettern hatten sich nie verstanden, und Fridolin würde sich gewiss nie zu Ottokars Handlanger machen lassen. Allerdings konnte er von diesem das Geld für die Reise bekommen haben. Trotzdem war sie sicher, dass er sie nicht verraten würde. Aus diesem Grund nickte sie schließlich.
    »Ich würde mich freuen, wenn du Fridolin einladen würdest. Aber nur, wenn er sich auch entsprechend ausweisen kann. Einen von Rupperts Spionen will ich hier nicht sehen.«
    »Wir können eigentlich niemanden gebrauchen«, setzte Nati hinzu, doch diesmal hörte keiner auf sie. Thomas Simmern war erleichtert, weil sich der vermutete Verfolger als harmlos zu erweisen schien, und Lore freute sich darauf, Fridolin wiederzusehen.

II.
     
    Fridolin von Trettin trat mit einem Gefühl von Beklemmung in das Hotelfoyer. Das prachtvolle Portal, die hohe Halle, in der bequeme Sessel für die Hotelgäste bereitstanden, und die Pagen in ihren schmucken Uniformen zeigten ihm allzu deutlich, für welche Gesellschaftsschicht dieser Bau gedacht war. Von seiner Abkunft her gehörte auch er zu diesen Menschen, jedoch war ihm die Möglichkeit, so zu leben, durch seine Armut verwehrt.
    Hier sollte Lore nach Auskunft eines Angestellten des Norddeutschen Lloyd Quartier genommen haben? Welch seltsame Umstände mochten sie hierhergeführt haben? Möglicherweise hatte ein Engländer sich den Spleen erlaubt, die arme Schiffbrüchige hier in diesem feudalen Rahmen unterzubringen.
    Der Mann, der

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