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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ihrer Jugend verwendete Nati einen Wortschatz, der eher einer Erwachsenen angemessen war, zeigte aber gleichzeitig Launen, als wäre sie gewöhnt, dass alles sich um sie drehen müsse.
    »Willst du mir deine Bekannten nicht vorstellen?«, fragte er Lore. Diese zuckte zusammen, nickte dann aber eifrig. »Das hier«, sie schob Nati vor sich, »ist Komtess Nathalia von Retzmann, und dort haben wir Mary und Prudence Penn aus Harwich. Ihre Familie war so lieb, Nati und mir nach dem Unglück Obdach zu gewähren. Konrad hier ist der Diener und – wie ich wohl sagen kann – ein Freund von Onkel Thomas … Herrn Simmern.«
    Fridolin verneigte sich vor Nati, winkte den beiden Schwestern kurz zu und klopfte Konrad leutselig auf die Schulter. Dann wandte er sich wieder an Lore. »Ich bin heilfroh, dich gesund undmunter wiederzusehen. Aber es war ganz schön anstrengend, dich zu finden. In Harwich habe ich nicht mehr erfahren, als dass du überlebt hättest. Ich habe zuerst mit allen möglichen Leuten geredet, die den Untergang ebenfalls überlebt haben, doch keiner von ihnen konnte mir Auskunft geben, wo du zu finden warst. Schließlich bin ich nach London gefahren, um bei der Dependance des NDL nachzufragen, aber dort wollte dich keiner kennen. Erst heute Morgen wurde mir geraten, in dieses Hotel zu kommen.«
    Fridolin machte eine Geste, als müsse er sich den Schweiß von der Stirn wischen. »Aber ich mache dir keinen Vorwurf. Du hast die Herrschaften wahrscheinlich wegen Ottokar gebeten, nichts über deinen Aufenthaltsort verlauten zu lassen. Doch da hättest du dir keine Sorgen machen müssen. Nach der Nachricht vom Untergang der
Deutschland
werden weder mein Vetter noch dessen Angetraute sich je wieder auf ein Schiff wagen.« Er hatte Lore mit dieser Bemerkung aufmuntern wollen, doch zu seinem Erstaunen verdüsterte sich ihre Miene.
    Lore betrachtete Fridolin, in dem sie nie einen richtigen Onkel gesehen hatte, und fragte sich, ob sie ihn ohne Erlaubnis von Thomas Simmern einweihen durfte.
    Nati nahm ihr die Entscheidung ab. »Das haben wir nicht wegen irgendeines Ottokars gemacht, sondern wegen Ruppert, diesem Schweinekerl. Der hat nämlich meinen Großvater totgemacht und will es auch mit mir, Lore und Onkel Thomas tun.«
    Nati sagte es auf Englisch, und es war zu erkennen, dass sie die verwendeten Ausdrücke nicht bei der besseren Gesellschaft, sondern bei den Domestiken gelernt hatte. Lore schämte sich ihres Schützlings, während Fridolin hellhörig wurde.
    »Wie es aussieht, steckt mehr dahinter, als ich dachte. Aber die Kleine hat recht. Wegen Ottokar hättest du keinen solchen Aufwand betreiben müssen.«
    »Ich bin es gewöhnt, Komtess genannt zu werden, und nichtKleine!« Nati passte der Neuankömmling überhaupt nicht. Was fiel diesem ein, Lore so in Beschlag zu nehmen? Sie drängte sich zwischen die beiden, doch Lore nahm sie auf den Arm und wies mit dem Kinn auf die Sessel in der Ecke.
    »Setzen wir uns doch, Frido. Konrad wird so nett sein, für dich ein Glas Wein und für uns eine Limonade zu bestellen. Welche magst du denn heute, Schätzchen?« Mit dieser Frage entwaffnete sie das eifersüchtige Kind. Nati merkte, dass Lore trotz Fridolins Erscheinen auf ihr Wohl achtete, und gab sich daher gnädig. Als Lore sie auf ihren Schoß setzte und sie mit Keksen fütterte, war sie beinahe wieder versöhnt.
    Unterdessen überlegte Lore, wie sie beginnen sollte. Da kam Fridolin ihr mit einer Frage zuvor. »Was ist eigentlich mit Elsie geschehen? Ist sie auf dem Schiff umgekommen?«
    Er lieferte Lore damit einen Anknüpfungspunkt. Sie berichtete in kurzen Worten, wie sie von Elsie und Wagners Angestelltem Gustav bestohlen und im Stich gelassen worden war, und erzählte dann, wie sie Nati kennengelernt hatte.
    »Ohne sie und ihren Großvater, Graf Retzmann, wäre ich auf dem Schiff verzweifelt. Der Graf hat mir erlaubt, Natis Gouvernante zu ersetzen, die kurz vorher gekündigt hatte«, setzte sie hinzu.
    »Lore ist nicht nur meine Gouvernante, sondern auch meine Freundin und Lebensretterin«, mischte Nati sich ein.
    Fridolin machte nicht den Fehler, die Kleine zu ignorieren oder gar zurechtzuweisen, sondern sah sie aufmerksam an. »Das klingt aber sehr dramatisch.«
    »Das war es auch«, erklärte Nati und legte ihm nun ihre Sichtweise der Ereignisse dar. Von Zeit zu Zeit musste Lore eingreifen und ihre Aussagen präzisieren, doch im Grunde fand Fridolin am Bericht der Kleinen nichts auszusetzen.
    »Du bist ein

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