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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Kaffee für Herrn von Trettin!«
    Während der Hotelangestellte verschwand, lächelte Onkel Thomas Lore an.
    »Das Gericht der Londoner Handelskammer, das über diesen Schiffbruch zu urteilen hatte, ist zu dem Schluss gekommen, dass Kapitän Brickenstein trotz des schweren Sturms hätte wissen müssen, dass der Dampfer vom Kurs abgekommen war. Man wirft ihm vor, die Gezeitenströme in der Nordsee nicht beachtet und daher die Abdrift des Schiffes falsch berechnet zu haben. Zudem hätte er zur Messung der Schiffsgeschwindigkeit nicht auf das moderne Patentlog zurückgegriffen, sondern die alte Methode verwendet, die auf SegelSchiffen üblich ist.«
    »Auf diese Weise hat er uns alle in Gefahr gebracht und die Schuld am Tod von mehr als fünfzig Menschen auf sich geladen!« LoresBemerkung zeigte deutlich, dass sie dem Kapitän die Abfuhr vor Gericht gönnte.
    Thomas Simmern hob beschwichtigend die Hand. »Mein liebes Fräulein, du solltest nicht so vorschnell urteilen! Ich dachte, du wärst ein vernünftig denkendes Frauenzimmer, das dafür sorgt, dass Nathalia später auch einmal mehr als nur Stroh im Kopf hat.«
    »Entschuldigung«, sagte Lore mit nicht ganz echter Zerknirschung. »Ich mag den Kapitän nicht, und da …«
    »Du solltest dich wirklich nicht von Vorurteilen leiten lassen. Ich sagte dir schon zu Beginn unserer Bekanntschaft, dass gute DampfSchiffskapitäne schwer zu finden sind. Wäre er während der Katastrophe nicht so besonnen gewesen und hätte die Übersicht behalten, wärt ihr jetzt alle tot, das kannst du mir glauben. Brickenstein hat mutig und entschlossen gehandelt und seine Mannschaft in guter Zucht und Ordnung gehalten, so dass jeder der Männer – und auch die beiden Stewardessen – ihr Bestes gegeben haben, um so viele Menschen wie möglich zu retten. Fehler macht jeder, aber nur wenige strengen sich so an, sie wiedergutzumachen. Ich habe hier einen Brief des Vorsitzenden des Handelsund Seegerichts an die Direktion des NDL. Ich lese euch ein paar Sätze daraus vor, damit ihr sehen könnt, wie Kapitän Brickensteins Handeln von den maßgeblichen Leuten beurteilt wird.
    Mister Rothertby schreibt uns:
Die Energie, die Kapitän Brickenstein nach der Strandung entfaltete, hat in so außerordentlichem Grade meine Bewunderung erregt, dass es mir leidgetan hat, über einen so guten Seemann das Urteil auszusprechen, das nach Lage der Dinge nicht zu umgehen war. Ich hoffe sehr, dass die Direktion des Norddeutschen Lloyd Kapitän Brickenstein das Vertrauen nicht entziehen, sondern ihn für den Dienst behalten wird, umso mehr, als die traurige Erfahrung ihn für die Folge bestimmt noch vorsichtiger machen dürfte.«
    Thomas Simmern legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen, und trank dabei Kaffee. Währenddessen beobachtete er seine Schutzbefohlenen. Lore wirkte betroffen, doch Nati schob kämpferisch die Unterlippe vor.
    »Wenn der Kapitän richtig gesteuert hätte, würde mein Opa noch leben!«
    »Um dir hier ein endgültiges Urteil zu erlauben, solltest du einmal einen Dampfer wie die
Deutschland
bei einem solchen Dezembersturm in die Themsemündung hineinsteuern. Nicht umsonst wollen wir den Halt in London aufgeben und den Hafen von Southampton für die Fahrten nach Übersee nutzen!« Obwohl seine Worte in freundlichem Ton gesprochen worden waren, brachten sie Nati dazu, den Kopf einzuziehen.
    »Das Urteil des Handelsgerichts konnte zwar nicht anders lauten, aber Kapitän Brickensteins Können wurde letztlich nicht in Zweifel gezogen. Schiffe sind nun einmal den Launen der Elemente stärker ausgeliefert als alle anderen Werke von Menschenhand, und es gehört neben einem großen Können auch immer eine gewisse Portion Glück dazu, sie in schwierigen Situationen wieder zurück in den sicheren Hafen zu bringen. Ich hoffe, du wirst in Zukunft daran denken!«
    »Das werde ich!«, antwortete Lore mit einem bekräftigenden Nicken. »Darf ich noch etwas fragen?«
    »Aber ja! Frage nur!«, forderte Thomas Simmern sie auf.
    »Warum hast du uns das jetzt so eingehend erklärt, Onkel Thomas?«
    »Nathalia ist die Erbin eines großen Anteils am NDL, und daher werden im Haus der Retzmanns immer wieder einmal Empfänge für Anteilseigner, Kapitäne und Offziere der Reederei stattfinden. Nati und du, ihr werdet bei diesen Empfängen dabei sein, und ich möchte, dass ihr Kapitän Brickenstein freundlich begegnet und es nicht zu einem Eklat kommen lasst!«
    »Oh! Ja, natürlich. Nati würde ihm klar und

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