Dezembersturm
auswandern und dort ein neues Leben beginnen soll. Doch ich besitze nicht einmal das Geld für eine Zwischendeckpassage, geschweige denn genug, um dort einen neuen Anfang wagen zu können.«
Wolfhard von Trettin winkte ärgerlich ab. »Was willst du denn in Amerika? Dich von den Wilden dort umbringen lassen?«
Sein Neffe schüttelte energisch den Kopf. »Die Zeiten sind längst vorbei! An der Ostküste Amerikas, aber auch im Inneren des Kontinents gibt es Städte, die sich nicht hinter Königsberg oder Berlin verstecken müssen. Viele haben dort ihr Glück gemacht! Doch als ein von Trettin wurde ich nicht dazu erzogen, mich vom Tellerwäscher an hochzuarbeiten.«
»Amerika? Was für ein Schwachsinn!« Der Alte schnaubte und sah seinen Neffen missbilligend an. »Du hast einer Puffmutter die Bücher geführt? Bei Gott, du bist ja noch schlimmer als ich, und mich nannten sie in deinem Alter bereits den wilden Nikas.« Für einen Augenblick verlor er sich in Erinnerungen an diese Zeit und berichtete einige Anekdoten, über die er und sein Gast herzhaft lachten. Schließlich wurde er wieder ernst und legte dem Jüngeren die Rechte auf den Arm.
»Du könntest mir einen Gefallen tun, Fridolin.«
»Jeden, sofern es kein Geld ist«, antwortete sein Neffe fröhlich.
»Ich will nicht von dem lutherischen Pfaffen, der sich nicht zu schade war, Ottokars Einzug auf Gut Trettin zu segnen, unter die Erde gebracht werden. Aber um Lores willen kann ich der christlichen Religion nicht vollständig entsagen. Daher möchte ich, dassdu den nächsten katholischen Schwarzkittel aufsuchst, der dir über den Weg läuft, und ihn zu mir schickst.«
Fridolin fuhr hoch und starrte seinen Onkel entsetzt an. »Ihr wollt katholisch werden – und das in dieser Zeit?«
»Von Wollen kann keine Rede sein! Ich muss! Außerdem will ich von oben – oder auch aus der Hölle, das ist mir gleich! – das Gesicht des hiesigen Pastors sehen können, wenn der ehemalige Gutsherr auf Trettin von seiner Konkurrenz unter die Erde gebracht wird.«
»Ottokar wird platzen, wenn er das erfährt. Da etliche ihm den Streit mit Euch übelnehmen, der Pastor aber auf seiner Seite steht, werden viele seiner Bekannten Euren Abfall ihm ankreiden.« Fridolin stieß einen erstickten Laut aus, der jedoch vom Gelächter des Alten übertönt wurde.
»Allein das ist schon Grund genug, es zu tun. Und jetzt noch etwas anderes: Kannst du mir das dicke Buch in dem rissigen Schweinsledereinband dort auf dem Schrank reichen?«
»Gerne!« Fridolin trat an den Schrank und musste sich strecken, um den dicken Wälzer fassen zu können. Neugierig schlug er ihn auf und starrte auf eine unleserliche Handschrift.
»Was ist das?«, fragte er erstaunt.
»Die Familiengesetze derer von Trettin. Da Gott mir in seiner Güte, wie der Pastor sagen würde, die Zeit dazu gibt, will ich diese auch ausnützen, um in dem Buch nach einer Möglichkeit zu suchen, wie ich Ottokar doch noch einen Streich spielen kann.« Der Alte hieß seinen Neffen, das Buch auf die kleine Anrichte aus dunklem Holz zu legen, die er mit der Rechten erreichen konnte, und rief dann nach Lore.
»Mädchen, hast du nicht daran gedacht, dass unser Gast hungrig sein könnte?«
Lore schoss zur Tür herein und nickte. »Doch, Herr Großvater. Es steht alles für Herrn Fridolin bereit.«
»Herr Fridolin? Früher hast du mich Frido genannt, Fratz«, wies der junge Mann sie lächelnd zurecht.
Der Alte wedelte mit seiner Rechten, als wolle er Fliegen verscheuchen. »Führe Fridolin in die Küche, Lore. Ein Speisezimmer besitzen wir ja leider nicht mehr.«
Das Mädchen knickste und wandte sich dann an Fridolin. »Wenn du mir bitte folgen willst, Frido.«
»Aber ja! Der Marsch hierher hat mir wirklich Hunger gemacht.«
Während Lore und Fridolin in die Küche eilten, nahm der alte Trettin das Familienbuch und schlug es auf. Da er sich kaum zu rühren vermochte, fiel ihm das Lesen nicht leicht. Mit eiserner Energie fuhr er fort, denn er sah die Gefahr, die seiner Enkelin von Gut Trettin aus drohte, und wollte alles tun, um sie davor zu bewahren.
VIII.
Lore schämte sich wegen der mageren Kost, die sie Fridolin auftischen musste, und entschuldigte sich wortreich. »Onkel Ottokar zahlt Großvater kein Geld mehr, und er hat zudem der Krämerin im Dorf verboten, uns etwas auf Kredit zu geben.«
»Ich sollte ihn wirklich zum Duell fordern«, sagte Fridolin, obwohl er wusste, dass sich dadurch die Situation der Bewohner des
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