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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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nach draußen. Dort traf sie Kord an, der auch an diesem Tag wieder seinen guten Rock angezogen hatte, da es sich seiner Ansicht nach nicht gehörte, seinem ehemaligen Herrn in Alltagskleidung gegenüberzutreten. Auf dem Rücken trug er einen Jutesack, in dem sich zu Lores Verblüffung etwas regte.
    Der alte Knecht zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Das sind ein paar Kaninchen, die ich gestern von einem alten Freund erhalten habe. Als ich sie sah, dachte ich, dass sie gewiss eine gute Mahlzeitfür deinen Großvater abgeben werden.« Er öffnete den Sack und ließ Lore hineinschauen.
    Sie entdeckte vier kleine, schwarz-weiß gemusterte Kaninchen dar in und sah Kord entsetzt an. »Du willst diese lieben Tierchen schlachten?«
    Der Knecht schüttelte lachend den Kopf. »Natürlich noch nicht jetzt! Die werden schon noch größer. In ein paar Wochen aber geben sie einen ausgezeichneten Braten ab.«
    »Aber ich weiß nicht, wo ich sie hintun soll!« Lore hob in einer verzweifelten Geste die Arme.
    Kord wusste auch hier Rat. »Ich werde einen Stall für die Kaninchen bauen. Kannst du mir sagen, wo ich Werkzeug finde?«
    Lore nickte und führte ihn zu dem Anbau, in dem einst der Förster ihres Großvaters Sägen, Hämmer und anderes Werkzeug aufbewahrt hatte. Kord suchte sich das Passende aus und machte sich ans Werk. Als nach kurzer Zeit die ersten Hammerschläge ins Haus drangen, hörte Lore ihren Großvater rufen und eilte zu ihm.
    »Was ist das für ein Lärm draußen?«, fragte Wolfhard von Trettin verärgert.
    »Kord hat ein paar Kaninchen gebracht und fertigt nun einen Stall für sie an. Er meint, sie gäben einen guten Braten ab, aber ich denke gerade darüber nach, ob wir damit nicht eine Zucht beginnen und die Jungen auf dem Markt in der Kreisstadt verkaufen sollten. Wir bekämen sicher genug Geld zusammen, um uns bei der Krämerin oder, wenn sie sich wegen Ottokar nicht traut, in einem Laden in Heiligenbeil die notwendigsten Lebensmittel einkaufen zu können.« Erwartungsvoll sah sie ihren Großvater an.
    Der alte Trettin machte jedoch eine abschätzige Handbewegung. »Das wäre ja noch schöner, wenn meine Enkelin sich wie ein Hökerweib auf den Markt setzen und ihre Waren anpreisen müsste. Eher soll Kord die Kaninchen erschlagen und in den nächsten Bach werfen!«
    Es klang so endgültig, dass Lore kein Widerwort wagte. Sie verabschiedete sich von der Vision, die Haushaltskasse mit einer Kaninchenzucht aufzubessern, und tröstete sich damit, dass das Fleisch der Tiere dazu beitragen würde, ihren Großvater zu kräftigen. Ihr war bewusst, dass sie nach dessen Tod unter Ottokars Vormundschaft geraten und auf Trettin als missachtete Dienstbotin leben würde. Dann musste sie froh sein, wenn sie als Lohn einmal im Jahr einen billigen Fetzen Stoff für ein Kleid erhielt. Gegen dieses Schicksal, das ihr immer wieder Alpträume bescherte, würde sie sich mit aller Kraft stemmen, auch wenn sie nicht wusste, auf welche Weise sie dem Zugriff ihrer ungeliebten Verwandten entkommen konnte.
    Ihr Großvater ließ ihr nicht die Zeit, darüber nachzudenken. »Du sagst, Kord hämmert einen Kaninchenstall zusammen? Wenn er damit fertig ist, soll er zu mir hereinkommen. Du begibst dich unterdessen in den Wald, um Pilze zu suchen. Ich habe Appetit auf ein herzhaftes Pilzragout.«
    Lore wollte schon vorschlagen, Elsie zu schicken. Dann erinnerte sie sich jedoch an deren letzte bescheidene Ausbeute, die nicht einmal für den alten Herrn ausgereicht hatte, und nickte. »Das tue ich, Herr Großvater. Ich freue mich, dass Ihr heute Appetit verspürt.« Das war zwar nicht der Fall, denn Wolfhard von Trettin interessierte es wie stets seit seinem Schlaganfall auch heute nicht, was auf den Tisch kam. Er schickte sie fort, weil er ungestört mit Kord reden wollte. Da fiel ihm ein, dass er auch Elsie loswerden musste, und befahl Lore, dem Dienstmädchen für den Rest des Tages freizugeben.
    Lore seufzte, denn damit blieb auch an diesem Tag wieder alle Arbeit an ihr hängen, und sie hätte am liebsten protestiert. Doch ihre Erziehung verlangte von ihr, dem Familienoberhaupt widerspruchslos zu gehorchen. Das tat sie auch und blickte kurze Zeit später hinter Elsie her, die munter wie ein Reh den Weg zum Dorfhinunterlief, in der Hoffnung, sich dort ein paar Pfennige verdienen zu können. Lore hielt das allerdings für wenig wahrscheinlich, denn die Magd war im Dorf aus ihr unbekannten Gründen nicht gerade beliebt. Ihr aber blieb nichts

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