Dezembersturm
Jagdhauses in keiner Weise ändern würde. Da er großen Hunger hatte, aß er das Schwarzbrot und die Schweinesülze mit gutem Appetit und lobte Lore dafür. »Besser hat es auf dem Gut früher auch nicht geschmeckt.«
Lore senkte den Kopf. »Das sagst du doch nur so.«
»Nein, gewiss nicht! Sülze gehört zu meinen Lieblingsspeisen, und so eine gute wie diese hier habe ich selten gegessen. Hast du sie gemacht?«
Lore nickte verschämt. »Ja, es gibt einige Dinge, die ich Elsie lieber nicht tun lasse.«
»Das dürfte auch besser sein!«, antwortete Fridolin und steckte sich genussvoll den nächsten Bissen in den Mund. Eine Weile versandete das Gespräch, doch als der Teller leer war, legte Fridolin das Besteck zur Seite und musterte Lore ernsthaft.
»Es geht dir nicht besonders gut, nicht wahr? Damit meine ich nicht nur das Geld, sondern auch deine Familie. Ich habe deine Eltern sehr gemocht, und natürlich auch die Kinder. Man könnte direkt an Gott und der Welt zweifeln, dass es so enden musste!«
Das Mädchen rang die Hände. »Es ist wirklich schlimm. Vor lauter Sorgen bleibt mir kaum die Kraft, um meine Lieben zu trauern. Doch ich muss zusehen, wie wir durchkommen. Wenn Doktor Mütze Großvater nicht umsonst behandeln und auch noch die Medikamente bezahlen würde, sähe es noch schlimmer aus.«
»Ich kenne den Arzt. Er ist ein guter Freund meines Onkels und wird den paar Talern, die er deswegen verliert, gewiss nicht nachweinen. Aber was ist mit dir? Das Kleid, das du derzeit trägst, sieht einfach unmöglich aus.«
Lore musste an sich halten, um bei Fridolins Worten nicht in Tränen auszubrechen. »Meine Kleider sind bis auf das, welches ich damals anhatte, in meinem Elternhaus verbrannt. Ein helles Kleid mit Spitzen darf ich jedoch nicht in der Trauerzeit tragen – und auch nicht für die Hausarbeit! Deswegen hat Kord mir ein Kleid seiner verstorbenen Frau geschenkt. Ich habe es auseinandergenommen, den Stoff gewendet und es für mich zurechtgeschnitten. Das, finde ich, ist mir gelungen!«
Fridolin sah sich das Kleid jetzt genauer an und nickte. »Für ein abgelegtes, auf deine Größe umgeändertes Kleid sieht es wirklichnicht übel aus. Ich habe es für neu gehalten. Du hast anscheinend das Nähtalent deiner Mutter geerbt. Was meinst du, wie oft sie mir meine Hosen und Jacken flicken musste, wenn ich als Kind mit meinen Eltern auf Trettin zu Besuch war!« Für einige Augenblicke verlor Fridolin sich in Gedanken an eine Zeit, in der das Leben sowohl für den alten Herrn wie auch für ihn um vieles leichter gewesen war, kehrte aber bald wieder in die düstere Gegenwart zurück.
Die im Jagdhaus herrschende Armut erschütterte ihn, und er verfluchte wieder einmal seinen Vetter, der jetzt so stolz auf Trettin saß und dem es ein Leichtes gewesen wäre, Lores Los und das seines Onkels zu erleichtern. Vor allem für das Mädchen musste es jetzt, nach dem Tod der Eltern, schrecklich sein, unter so erbärmlichen Umständen leben zu müssen. Von einem Impuls getrieben, zog er seine Geldbörse hervor und entnahm ihr einen wie neu glänzenden Kuranttaler, der ihm seit mehr als fünf Jahren als Glücksbringer diente. Bislang hatte er es nicht über sich gebracht, diese Münze auszugeben, doch jetzt legte er sie Lore in die Hand. »Hier, die ist für dich! Du musst mir aber versprechen, dass du sie nur für dich selbst ausgibst, verstanden?«
Lore starrte mit großen Augen auf das Geldstück. So viel hatte sie in ihrem ganzen Leben nicht besessen, und sie hatte Angst, es anzunehmen. »Aber Frido, du brauchst es doch gewiss selbst«, wandte sie ein.
Obwohl sie damit die Wahrheit sagte, winkte Fridolin lachend ab. »So schlimm steht es um mich nun auch wieder nicht.« Er würde auf dem Rückweg in Heiligenbeil oder Elbing seine Krawattennadel versetzen müssen, um nicht bis Berlin hungern zu müssen, und doch schien ihm dieser kleine Akt der Barmherzigkeit beschämend gering.
IX.
Fridolin blieb drei Tage im Jagdhaus. Auch wenn sein Besuch dem alten Herrn sichtlich guttat, stellte er Lore vor das Problem, was sie auf den Tisch bringen sollte. Außerdem nörgelte Elsie ständig, weil sie am Monatsanfang schon zum zweiten Mal keinen Lohn erhalten hatte. Lore war schließlich so weit, dass sie dem jammernden Dienstmädchen riet, es solle doch den Dienst aufsagen und verschwinden. Dann würde zwar noch mehr Arbeit auf ihr lasten, aber sie hätte auch weitaus weniger Ärger. Zu ihrem Leidwesen blieb Elsie
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