Dezembersturm
immer hinter Ihnen verstecken. Außerdem wird Lore mir sicher nicht den Hals umdrehen, wie es Malwine am liebsten getan hätte.« Er legte eine kurze Pause ein und sah dann Lore lächelnd an. »Weißt du, dass ich nach Recht und Gesetz dein neuer Vormund bin?«
»Wie bitte?«, stieß Lore verblüfft aus.
»Da ich – von dir übrigens völlig unbemerkt – mein einundzwanzigstes Lebensjahr vollendet habe und damit volljährig geworden bin, ist mir nach Ottokars Tod automatisch die Vormundschaft über dich zugefallen. Darüber hinaus bin ich auch der Vormund von Malwines Sprösslingen und damit auch für Gut Trettin verantwortlich, bis der ältere volljährig ist. Mein Gott, hat die Frau getobt, als sie es erfuhr! Sie hätte am liebsten den Notar, der ihr diese Nachricht überbracht hat, von den Dienern aus dem Haus werfen lassen. Doch schließlich musste sie es zähneknirschend akzeptieren. Zum Glück habe ich nicht viel mit dieser Bagage zu tun. Ich werde einmal im Jahr nach Trettin fahren, das Rechnungsbuch des Gutes kontrollieren und mir die Zeugnisse der Jungen ansehen. Mehr nicht. Den älteren werde ich in Königsberg Agrarökonomie studieren lassen und den jüngeren in eine Kadettenanstalt stecken, wenn sie das entsprechende Alter erreicht haben. Das Gut soll Malwine mit Hilfe eines Verwalters führen, bis ihr Ältester es übernehmen kann.«
Fridolin trank einen Schluck Kaffee und sah Lore feixend an. »Als dein Vormund erlaube ich dir, bei Komtess Nathalia zu bleiben, solange du willst.«
»Danke!« Lore wusste selbst nicht, weshalb sie eine eigenartige Enttäuschung überkam.
»Es gibt also niemanden mehr, der mir Lore wegnehmen kann?«, fragte Nati und juchzte auf, als Fridolin nickte.
»Nein, niemanden!«
»Dann ist es gut!« Die Kleine wollte auf Lores Schoß klettern, doch Dorothea fing sie ab und nahm sie zu sich.
Sie lächelte dabei so freundlich, wie sie es meist tat, wenn sie etwas erreichen wollte.
»Damit haben wir zwei von drei Problemen gelöst, nämlich das mit Ruppert und seinen mörderischen Plänen sowie das mit Lores unangenehmem und, wie ich jetzt auch sagen muss, verbrecherischem Vormund. Doch bevor ich zu unserem letzten Problem komme, will ich Sie etwas fragen, Herr von Trettin.«
»Gerne«, antwortete Fridolin.
»Als wir uns vor mehreren Wochen über Lores mögliche Flucht ins Ausland unterhalten haben, erklärten Sie sich bereit, sie zu heiraten und unter Ihren Schutz zu stellen. Stehen Sie noch zu diesem Wort?«
»Er braucht Lore aber gar nicht mehr zu heiraten. Sie kann auch so bei mir bleiben«, rief Nati dazwischen.
Anstatt sie zurechtzuweisen, lachte Dorothea auf. »Du solltest daran denken, meine Liebe, dass eine verheiratete Freifrau von Trettin eine würdige Repräsentantin dieses Hauses wäre und die weitere Anwesenheit Ermingarde Klampts dadurch überflüssig würde.«
»So gern ich die Dame auch dorthin schicken würde, wo der Pfeffer wächst, so muss Lore deswegen nicht gleich heiraten. Sie ist doch noch so jung«, wandte Onkel Thomas ein.
»Sie ist in wenigen Tagen sechzehn, und das ist, wenn du dich erinnerst, das Alter, in dem Frauen in unserem Land heiraten dürfen, falls die Eltern oder in diesem Fall der Vormund zustimmt«,erklärte seine Frau und erhielt von Nati Unterstützung, die als Erste begriffen hatte, was Dorothea im Schilde führte.
»Lore, du musst Fridolin heiraten, damit wir Tante Ermingarde loswerden. Du musst, du musst, du musst!«
»Lore muss gar nichts«, wies Onkel Thomas sie verärgert zurecht.
»Ich glaube, das sollten wir den beiden überlassen. Ihr könnt auf den Balkon gehen.« Die letzten Worte galten Lore, die aussah, als würde sie am liebsten auf der Stelle davonlaufen, sowie Fridolin, dessen Lächeln nun eingefroren wirkte.
Er fasste sich jedoch rasch und bot Lore die Hand. »Dieses Angebot sollten wir nicht ausschlagen.«
»Welches Angebot?«, fragte Lore verwirrt.
»Na, auf den Balkon zu gehen!«
Das war wieder der Fridolin, den sie kannte. Lore folgte ihm nach draußen, sah, wie er umständlich die Türen hinter ihnen zuzog, und blickte dann auf den Garten hinaus, in dem die ersten Blumen den beginnenden Frühling ankündigten.
»Dem alten Herrn hätte es gefallen«, sagte Fridolin nachdenklich.
»Was denn, bitte?«
»Wenn wir heiraten würden! Es war seine große Hoffnung, lange genug leben zu können, um uns zusammenzubringen. Erst als er begriffen hat, dass ihm diese Zeit nicht mehr bleibt, hat er deine Flucht
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