Dezembersturm
das ich mit deiner Erlaubnis in den letzten Wochen bereits ausüben durfte. Mein Sohn ist ebenfalls ein begeisterter Waidmann. Er will sich von Berlin in unser schönes Ostpreußen versetzen lassen und eine Amtmannsstelle in Braunsberg übernehmen. Ihm würde das Jagen hier sehr gefallen.«
»Das will ich hoffen.« Wolfhard von Trettins Stimme klang dabei so volltönend, als hätte der Arzt ihm die baldige Genesung und nicht den nahen Tod verkündet. Er wurde sich seiner Lage jedoch rasch wieder bewusst und forderte seinen Freund auf, ihm Papier und Schreibzeug zu bringen.
»Es gibt einiges zu tun, mein Guter, und wie du vorhin richtig gesagt hast, darf ich meine Zeit nicht verschwenden. Übrigens noch etwas anderes: Du kannst ein paar Taler von dem vereinbartenKaufpreis für das Jagdhaus und den Wald abziehen und mir dafür Lebensmittel mitbringen, wenn du mich besuchst. Lore braucht kräftigere Kost.«
Doktor Mützes Blick ruhte mit einem tadelnden Ausdruck auf dem alten Herrn. »Wenn ich gewusst hätte, dass ihr hungern müsst, hätte ich euch längst etwas mitgebracht. Aber du bist nun einmal ein ostpreußischer Sturkopf, der lieber zugrunde geht, als seinen besten Freund um etwas zu bitten.«
»Ich wusste doch selbst nicht, wie schlecht es tatsächlich um unsere Vorratskammer steht. Lore glaubt ja, alles, was mich aufregen könnte, von mir fernhalten zu müssen«, antwortete Wolfhard von Trettin nicht ganz wahrheitsgemäß und richtete sein Augenmerk auf die Briefe, die er schreiben wollte. Das fiel ihm schwer genug, da er nur noch eine Hand zur Verfügung hatte. Seine Linke ließ sich trotz allen Bemühens nicht mehr benutzen. Doktor Mütze half ihm, die Blätter zurechtzulegen, und störte ihn dann nicht mehr, auch wenn er sich über die Wahl der Adressaten wunderte. Als er die Briefe entgegennahm, versprach er seinem Freund noch einmal, diese schnell weiterzuleiten.
»Dennoch habe ich wenig Hoffnung, dass es dir gelingt, Lore vor dem Pack auf dem Gut zu bewahren«, sagte er, als er sich nach einer Weile verabschiedete.
Ein seltsames Funkeln tanzte in den Augen des alten Herrn. »Lass mich nur machen, du Knochenflicker. Mein lieber Neffe Ottokar hält mich für einen hilflosen Krüppel, und das ist gut so. Bis er begreift, wie sehr er sich in mir geirrt hat, wird es zu spät für ihn sein.«
Der Arzt klopfte dem alten Herrn zum Abschied auf die Schulter und verließ kopfschüttelnd den Raum. Als er nach Lore sehen wollte, fand er sie in ihrem Kämmerchen, dessen Tür offen stand, damit sie jederzeit ihren Großvater rufen hören konnte. Sie saß über eine Näharbeit gebückt und führte die Nadel mit einem Geschick,um das sie die meisten Frauen beneiden mochten. Um sie nicht zu erschrecken, klopfte er leise gegen den Türrahmen.
Das Mädchen hielt inne und drehte sich zu ihm um.
»Ich fahre jetzt wieder. Gott befohlen, Lore, und pass auf deinen Großvater auf. Der macht sonst noch mehr Dummheiten als ein Junger.«
»Es geht ihm also wieder besser.« Lores kummervolle Miene hellte sich auf.
Gerade das aber machte dem Arzt das Herz schwer. Er wollte sie nicht betrüben, sagte sich aber, dass sie die Wahrheit erfahren musste, um nicht vom Schicksal überrollt zu werden.
»Leider nicht, Lore. Um es geradeheraus zu sagen: Es sieht gar nicht gut aus. Sorge dafür, dass dein Großvater sich nicht aufregt, und wenn du Ottokar mit der Flinte in der Hand davon abhalten müsstest, eure Schwelle zu überschreiten.«
Die letzten Worte waren mehr als bitterer Scherz gedacht, doch Lores Blick flog sofort zu der Wand, hinter der sie den Gewehrschrank des alten Herrn wusste.
»Der neue Gutsherr wird meinem Großvater kein weiteres Leid zufügen.« Es klang so kriegerisch, dass Doktor Mütze sich fragte, ob es ein Fehler gewesen war, das Mädchen auf die Waffe hinzuweisen. Ein Blick in Lores blasses, aber beherrschtes Gesicht machte ihm jedoch wieder Mut. Die Enkelin war gewiss vernünftiger als der Großvater und würde keine Dummheiten begehen. Er lächelte ihr zu und wollte schon gehen.
Da fiel Lore der katholische Priester ein. »Verzeihen Sie, Herr Doktor. Hat mein Großvater Ihnen von dem Pfarrer erzählt, den Sie seinem Willen zufolge in die Kreisstadt mitnehmen sollen?«
»Nein, davon hat er nichts gesagt.« Doktor Mütze sah Lore interessiert an und ließ sich von ihr berichten, wo er den Mann finden konnte. Sie setzte jedoch hinzu, dass er nicht böse sein solle, weil es sich um keinen
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