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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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recht, dachte Lore. In diesem Teil Ostpreußens waren Katholiken seltener als faustgroße Bernsteinklumpen am Strand, und wenn es welche gab, waren es zumeist Polen, die sich gegen die protestantische Übermacht ihrer deutschen Nachbarn zu behaupten suchten. Dieser Priester war jedoch kein Pole, denn er stellte sich ihr als Hieronymus Starzig vor und erklärte, aus Heiligenbeil zu kommen.
    »Ein Amtsbruder aus Berlin schrieb mir, dass Herr Wolfhard von Trettin meinen Besuch wünsche«, erklärte er in einem Ton, der wenig Zweifel daran ließ, dass er sich über diese Aufforderung wunderte.
    Lore war verblüfft. Was mochte ihr Großvater von einem katholischen Priester wollen? Aber da es sich nicht gehörte, einen geistlichen Herrn auszufragen, schritt sie still neben dem Priester her, der nun trotz seines fortgeschrittenen Alters ein strammes Tempo vorlegte. Sie hätte ihn beinahe gebeten, langsamer zu gehen, doch da tauchte bereits das Jagdhaus vor ihnen auf.
    Lore fand die Tür unversperrt, konnte aber Elsie nirgends finden. Rasch verstaute sie Madame de Lepins Paket in ihrer Kammer und eilte in das Zimmer ihres Großvaters. Zu ihrer Erleichterung fand sie ihn munter und lebhafter als am Morgen. Bei ihrem Anblick runzelte er die Stirn und wollte schon etwas sagen, als er durch die offene Tür die schwarzgekleidete Gestalt des Priesters entdeckte.
    »Bitte den Herrn herein und bereite ihm dann einen Imbiss«, forderte er Lore auf und versuchte, sich ein wenig aufzurichten. Das Mädchen half ihm hoch und stopfte ihm mehrere Kissen in den Rücken.
    Unterdessen trat Hochwürden Starzig ein und schlug das Kreuz.
    »Grüß Sie Gott, Herr von Trettin.«
    Er schien sich nicht zu wundern, einen Schwerkranken vor sich zu sehen, sondern trat neben dessen Bett und reichte ihm die Hand.
    Der Alte ergriff sie und drückte kräftig zu. »Guten Tag, Herr Pfarrer. Auch wenn mir die linke Hand nicht mehr gehorchen will, so ist in meiner Rechten doch noch ein wenig Kraft«, antwortete er mit dröhnender Stimme. Dann suchte sein Blick Lore. »Du bist ja immer noch da. Ich sagte doch, du sollst in die Küche gehen!«
    Lore gehorchte erschrocken und hörte noch, wie ihr Großvater den Priester aufforderte, die Tür hinter ihr zu schließen. Danach drang von Zeit zu Zeit noch ein lauter Ton bis in die Küche, doch was die beiden Männer besprachen, konnte sie nicht verstehen.

XII.
     
    Wolfhard von Trettin musterte den katholischen Geistlichen zufrieden. »Also hat Fridolin sein Wort gehalten und Sie zu mir geschickt.«
    Der Priester wirkte etwas verwundert. »Ich kenne keinen Herrn Fridolin. Mein Berliner Amtsbruder Nießen schrieb mir, dass ich zu Ihnen kommen soll.«
    »Der weiß es von Fridolin. Mein Neffe wohnt nämlich in Berlin. Ich freue mich, dass Sie so rasch gekommen sind, Herr Pfarrer, denn ich weiß nicht, wie lange mich der Herrgott noch auf dieserWelt lassen wird. Dieser evangelische Lump, der sich hier Pastor nennt, soll mich nicht unter die Erde bringen! Das habe ich mir geschworen.« Der Alte ballte die Faust und reckte sie in die Richtung, in der er das Dorf und damit das Haus des Pastors wusste.
    »Was kann ich für Sie tun, Herr von Trettin?«, fragte Starzig, der nichts mit den Worten des Kranken anzufangen wusste.
    »Mich katholisch machen, was sonst? Und mich begraben, wenn es so weit ist«, antwortete der alte Mann grollend.
    Der Priester räusperte sich, als habe er sich verschluckt. »Habe ich Sie richtig verstanden, Herr von Trettin? Sie wollen den katholischen Glauben annehmen?«
    »Freilich! Oder verstehen Sie kein Deutsch mehr?« Der alte Herr funkelte ihn ärgerlich an.
    Starzig beeilte sich, ihm zu versichern, dass er sehr wohl Deutsch verstehe. »Es ist nur so, dass ich etwas verwundert bin, weil ein Herr wie Sie sich ausgerechnet in der heutigen Zeit unserem Glauben anschließen will. Seit dieser schreckliche Bismarck uns Katholiken mit seinem Hass verfolgt und unsere Geistlichen und Ordensleute aus Schulen, Krankenhäusern und Erziehungsanstalten verjagen lässt, haben wir einen schweren Stand im Reich. Viele unserer jungen Priester und Nonnen sind gezwungen, die Orte, an denen sie und ihre Vorgänger so segensreich wirkten, zu verlassen und bis nach Amerika auszuwandern, um wieder Gutes tun zu können.«
    Wolfhard von Trettin ging über die Schmähung des von ihm heiß verehrten Reichskanzlers hinweg und fasste den Priester am Arm. »Gar bis nach Amerika, sagen Sie? Das ist aber weit weg.«
    »Gott

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