Dezembersturm
wird die Unseren beschützen«, antwortete Starzig und faltete die Hände zum Gebet. Der alte Herr ließ ihm jedoch keine Zeit, das Paternoster anzustimmen.
»Erzählen Sie mir über Ihre Leute, die nach Amerika gehen! Ist es denn so leicht, dort aufgenommen zu werden?«
Der Priester nickte eifrig. »Amerika ist die Heimstatt der Beladenen und Geknechteten geworden, die der Verfolgung durch die Knute der Gutsherren und die Stöcke der Polizei entkommen wollen.«
In seinem Eifer vergaß er ganz, dass er mit Wolfhard von Trettin einen der von ihm geschmähten Gutsherren vor sich hatte. Der alte Herr reagierte jedoch nicht auf den Fauxpas, sondern krallte seine Rechte in den Ärmel des Geistlichen. »Was wissen Sie über Amerika?«
Eigentlich hatte Starzig angenommen, er solle dem alten Edelmann die wichtigsten Grundzüge des katholischen Glaubens nahebringen, aber er erfüllte den Wunsch des Kranken und erzählte dabei auch, dass beinahe in jedem Monat katholische Geistliche und Nonnen das Deutsche Reich verließen, um mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten zu fahren. Wolfhard von Trettin wusste zwar, dass es dieses Land jenseits des Atlantiks gab, hatte aber geglaubt, es sei von blutrünstigen Wilden bevölkert, zwischen denen sich ein paar abenteuerlustige Europäer herumtrieben. Doch nun hörte er nach Fridolins Erzählungen zum zweiten Mal, dass es in Amerika große Städte geben sollte, die den Vergleich mit Berlin nicht zu scheuen brauchten.
Als Starzig begann, sich zu wiederholen, unterbrach er ihn und kam auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. »Sie werden mich katholisch machen und meine Enkelin auch.«
Der Geistliche versuchte ihm zu erklären, dass dies nicht so einfach sei, aber die Äußerung des alten Herrn, sich eher ohne Gott als durch den protestantischen Pastor begraben zu lassen, ließ ihn seinen Widerstand aufgeben. Er sprach dem Alten ein lateinisches Gebet vor, das dieser ohne Mühe nachsprechen konnte, und sagte ihm zu, den Glaubenswechsel ohne die eigentlich dafür nötigen Unterweisungen zu beurkunden. Er ließ sich auch davon überzeugen, dass Lore mit ihren fast sechzehn Jahren bereits zu alt sei, umnoch die heilige Kommunion und die Firmung zu empfangen, und es am besten sei, sie wie eine Erwachsene zum katholischen Glauben übertreten zu lassen. Er bestand jedoch darauf, dass zumindest das Mädchen einige Stunden Unterricht in den Lehren des katholischen Glaubens erhalten müsse.
Zu seiner Verwunderung gab Wolfhard von Trettin sofort nach. »Wegen mir soll sie es tun. Lore, komm in mein Zimmer!« Der letzte Satz war laut genug, um selbst einen Toten aufzuwecken. Lore schoss nur Sekunden später durch die Tür herein und sah ihren Großvater fragend an.
»Du wirst katholisch werden!«, befahl er ihr. »Der Priester hier wird dich einweisen. Aus diesem Grund wirst du in den nächsten Monaten einmal in der Woche nach Heiligenbeil fahren.«
Lore sah ihn verständnislos an. »Ich soll katholisch werden? Aber warum?«
»Weil ich es auch werde und will, dass du hinter meinem Sarg hergehen kannst, wenn ich einmal auf den Gottesacker komme.«
Diese Erklärung genügte Lore. Sie erinnerte sich noch gut daran, dass die katholische Ehefrau des Inspektors eines Nachbarguts nicht an der Beerdigung ihrer Schwiegermutter hatte teilnehmen dürfen, weil der neue Pastor es verboten hatte, und nahm an, die Katholiken besäßen ähnliche Regeln. Da sie wusste, dass ihr Großvater diesen Pastor womöglich noch mehr hasste als den neuen Herrn auf Trettin, verzichtete sie auf Widerspruch. Es hätte den alten Herrn nur unnötig aufgeregt und seinen Zustand verschlimmert. Sie hing ohnehin nicht an dem Glauben, mit dem sie aufgewachsen war, denn sie konnte den neuen Pastor nach den schlimmen Erfahrungen ebenfalls nicht als Gottesmann ansehen. Dieser hatte ihr noch mehrmals erklärt, dass der Tod ihrer Eltern und ihrer Geschwister eine Strafe für die Sünden des alten Herrn sei, und im Gegenzug hatte er Ottokar und dessen Frau als wahre Christenmenschen hingestellt. Der Gipfel aber war seine Forderunggewesen, sie solle ihrem Großvater ins Gewissen reden, sich mit dem neuen Gutsherrn zu vertragen und dessen Autorität anzuerkennen.
»Muss ich dann jede Woche in die Stadt fahren, um zu lernen, wie man katholisch wird, Herr Großvater?« Lores Stimme klang ein wenig lauernd. Wenn der alte Herr darauf bestand, sie zum Unterricht zu schicken, würde es ihr ohne Probleme möglich sein, wie versprochen
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