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DGB 06 - Gefallene Engel

DGB 06 - Gefallene Engel

Titel: DGB 06 - Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitchel Scanlon
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Cypher genau
ins Schwarze getroffen. Zahariel hatte gespürt, wie sein Herz raste, da er fürchtete,
er könne einen Fehler machen und bei dieser Prüfung durchfallen. Entweder war
ihm seine Panik nicht anzusehen gewesen, oder Lord Cypher hatte wegen seiner
schlechten Augen nichts davon gemerkt. So oder so akzeptierte er das Kompliment
des alten Mannes.
    »Ich danke Ihnen, Lord Cypher«,
sagte er und deutete eine Verbeugung an. »Wenn ich selbstbewusst gewirkt habe,
dann nur, weil meine Meister mich so gut ausgebildet haben.«
    »Ja, du bist einer von Meister
Ramiels Schülern. Das erklärt alles. Ramiel war schon immer dafür bekannt, gute
Arbeit zu leisten. Wusstest du, dass er von Meister Sarientus unterwiesen
wurde, der auch Lion El'Jonson und Luther ausbildete?«
    »Nein, mein Lord. Das war mir
nicht bekannt.«
    »Tradition, Junge. Mach dich
damit vertraut. Lerne es und verstehe es. Ohne Tradition sind wir nichts.«
    »Das werde ich tun, mein Lord«,
versprach Zahariel ihm.
    »Vielleicht wirst du das. Aber
ich sehe dir an, dass du immer noch Fragen an mich hast, nicht wahr?«
    »Ich denke schon«, räumte
Zahariel ein, der sich nicht sicher war, ob er seine Zweifel tatsächlich laut
aussprechen sollte. »Ich verstehe nicht so recht, was ich dadurch erreicht
habe, dass ich dem Verlauf der Spirale gefolgt bin und Ihre Fragen beantwortet
habe.«
    »Für dich selbst hast du gar
nichts erreicht«, sagte Lord Cypher.
    »Aber wir wissen jetzt mehr
über dich. In jeder Phase der Ausbildung eines Anwärters müssen wir
entscheiden, ob wir sie fortsetzen sollen oder nicht und welche Anwärter zu
Höherem berufen sind.«
    »Bin ich zu Höherem berufen?«
    Lord Cypher lachte. »Dazu habe
ich nichts zu sagen, Junge. Das wird ein anderer entscheiden.«
    »Wer?«, fragte Zahariel, den
mit einem Mal ungeahnter Mut erfüllte.
    »Ich«, kam eine tiefe,
kraftvolle Stimme aus dem Schatten.
    Zahariel drehte sich um und
erblickte einen Riesen, der in den Lichtschein der Kerzen vortrat. Er hätte schwören
können, dass sich Augenblicke zuvor noch niemand dort aufgehalten hatte.
    Die hünenhafte Gestalt schob
die Kapuze des weißen Chorrocks nach hinten, doch Zahariel wusste auch so längst,
wer es war.
    »Mein Lord«, sagte er.
    »Folg mir«, forderte Lion
El'Jonson ihn auf.
     
    Als der Löwe am Rand der Kammer
entlangschlenderte, zog sich Lord Cypher in die Schatten zurück. Bruder Amadis
verbeugte sich, während der gewaltige Krieger an ihm vorbeiging, und Zahariel
wurde von plötzlicher Unentschlossenheit befallen.
    Nach Lord Cyphers Monolog über
den Wert der Tradition wusste er nicht, ob er nun den Pfad der Spirale in umgekehrter
Richtung gehen oder einfach dem Löwen folgen sollte.
    Die Entscheidung wurde ihm
abgenommen, als Bruder Amadis sagte: »Beeil dich lieber, Zahariel. Der Löwe mag
es nicht, wenn man ihn an solchen Abenden warten lässt.«
    »Solchen Abenden?«, wiederholte
Zahariel verständnislos, während er in Richtung des Löwen hetzte.
    »Abenden, an denen Enthüllungen
gemacht werden«, erklärte Amadis.
    Ohne zu wissen, was gemeint
war, ging Zahariel an ihm vorbei und lief zum Löwen, der auf dem Weg
zurückzukehren schien, den sie aus dem Kloster kommend genommen hatten. Der
Löwe sprach kein Wort, sondern ging zielstrebig weiter durch lange Korridore mit
makellos glatten Wänden, grobschlächtig in den Fels getriebene Höhlen und über
aus dem Gestein gehauene Wendeltreppen. Mit jedem Schritt ging es ein Stück
weiter nach oben, und während Bruder Amadis ihn in die Tiefe geführt hatte,
schien es nun so, als würde er mit dem Löwen bis in den Himmel klettern.
    Zahariel atmete angestrengt,
seine Beine fühlten sich kraftlos an, doch der Löwe stieg vor ihm die Stufen
hinauf, ohne auch nur einmal langsamer zu werden.
    Die Wendeltreppe verengte sich
zu einem schmalen Zylinder aus halbrunden Ziegelsteinen, so schmal, dass die
breiten Schultern des Löwen gerade noch genug Platz hatten.
    Nach weiteren zehn Minuten
spürte Zahariel, wie ihnen von oben ein kalter Lufthauch entgegenschlug, der die
vertrauten Aromen des tiefen Waldes mit sich trug. Er wusste, dass sie sich
nahe der Turmspitze befinden mussten. Geisterhaftes Mondlicht wurde allmählich
intensiver, und schließlich gelangte Zahariel auf die Spitze des Turms, eine
ausladende Fläche hoch über dem Kloster, die entlang der Brustwehr in
regelmäßigen Abständen mit Zinnen besetzt war.
    Für Verteidigungszwecke war
dieser Turm praktisch nutzlos, da er zu

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