DGB 09 - Mechanicum
des
Sprachgedächtnisses hervorgeholt.
Mit allen möglichen
Begrüßungsfloskeln hätte Dalia gerechnet, niemals jedoch mit dieser. Sie
schloss die Augen und richtete ihren Verstand auf eines der ersten Bücher, das
sie im Librarium übertragen hatte, ein Handbuch, das aus den Ruinen einer
Tech-Festung des Yndonesischen Blocks zutage gefördert worden war.
»Es beschreibt das Verhältnis
von Druck und Volumen in einem geschlossenen System«, zitierte sie die Antwort
aus dem Gedächtnis. »Bei einer festen Menge Gas, die bei einer festen
Temperatur gehalten wird, verhalten sich Druck und Volumen umgekehrt proportional.«
»Sehr gut. Ich bin Adeptin
Koriel Zeth. Und Sie sind Dalia Cythera. Willkommen in meiner Schmiede.«
»Vielen Dank«, gab sie zurück.
»Sie ist sehr beeindruckend. Hat es lange gedauert, sie zu errichten?«
Zeth musterte sie von oben bis
unten, dann kam das Geräusch von elektronischem Gelächter aus der
Sprecheinheit. Sie nickte.
»Das hat es allerdings. Viele
Jahrhunderte Arbeit waren erforder-lich, um diese Schmiede zu schaffen, aber
selbst jetzt ist sie noch immer nicht fertig.«
»Nicht? Dabei sieht sie
vollständig aus.«
»Das mag von außen betrachtet
so wirken, doch im Inneren gibt es noch viel zu tun«, erklärte Zeth, die umso
fließender formulierte, je länger sie sich mit Dalia unterhielt. »Und deshalb
sind Sie hier.«
»Woher wissen Sie überhaupt von
meiner Existenz?«
»Ich weiß eine Menge über Sie«,
sagte Zeth und schaute auf die Stelle gleich über Dalias Kopf. »Sie sind die einzige
Tochter von Tethis und Moraia Cythera, beide verstorben. Geboren wurden Sie im
Medicae-Block IF-55 des Ural-Kollektivs vor genau siebzehn Jahren, drei Monaten,
vier Tagen, sechs Stunden und fünfzehn Minuten. Mit drei Jahren brachte man
Ihnen Lesen und Schreiben bei, mit neun unterrichtete man Sie in der Kunst der
Transkription. Mit zwölf wurden Sie Schülerin von Magos Ludd, mit fünfzehn wies
man Sie der Halle der Transkription zu. Sie haben sechs Aus-zeichnungen für
akkurates Arbeiten, zwölf Ermahnungen wegen Anstiftens zu einem Benehmen, das
als nicht kompatibel mit den Arbeitspraktiken gilt, sowie einen Fall von
Inhaftierung wegen Verstoßes gegen das Gesetz der göttlichen Komplexität.«
Dalia sah hoch und rechnete
fast damit, dass über ihrem Kopf irgendeine Leuchtschrift in der Luft stand, die
ihre Lebensge-schichte anzeigte. Zu sehen war dort nichts, doch der Tonfall
ließ keinen Zweifel daran, dass sie die Fakten irgendwo ablas.
»Woher wissen Sie das alles?«,
fragte Dalia.
Wieder beugte sich Zeth vor und
strich mit einer metallischen Fingerspitze über Dalias Wange. Sofort verspürte
sie ein warmes Leuchten, als das Electoo zum Leben erwachte, das ihr bei der
Einführung in die Halle der Transkription implantiert worden war.
Sie hob eine Hand und legte sie
auf die Wange.
»Sie können mein Electoo
lesen?«
»Ja, aber ich kann viel mehr
erkennen als das simple bio-graphische Wissen«, antwortete Zeth. »Alle Daten lassen
sich mit einem Blick lesen, präsentieren und übertragen. Auch wenn sie für Sie
selbst unsichtbar sind, sehe ich einen Datenstrang, der die Luft um Sie
erfüllt. Jede Lichtspur steht für eine Tatsache oder Begebenheit aus Ihrem
Leben. Ich kann alles sehen, was Sie angeht, alles, was Sie in den Augen des
Imperiums zu einer Person macht.«
»Von etwas Derartigem habe ich
noch nie gehört.«
»Das überrascht mich nicht«,
entgegnete Zeth mit einem Anflug von Stolz. »Es ist eine Form der
Datenwiederherstellung und -übertragung, die ich erst vor kurzem entdeckt habe,
von der ich allerdings hoffe, dass sie früher oder später überall im Imperium
zur Anwendung kommen wird. Aber ich habe Sie nicht bloß in meine Schmiede
bringen lassen, um Sie mit meinen technologischen Entwicklungen zu
beeindrucken. Sie sind hier, weil ich glaube, dass sich Ihr Verständnis für
Maschinen und Technologie parallel zu meinem bewegt.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Die Marsianische
Priesterschaft ist eine uralte Organisation, die technologisch gebildet ist,
doch unser Verständnis der Technologie wird durch das blinde Festhalten an
Dogmen, Traditionen und Wiederholungen begrenzt. Ich glaube, unsere Zukunft
liegt darin, Technologie zu begreifen, und ich glaube, dass Fortschritt nur
durch Experimente, Erfindungen und Forschung erreicht werden kann. Diese
Ansicht wird auf dem Mars nicht von vielen geteilt.«
»Wieso nicht? Für mich klingt
sie nur
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