DGB 09 - Mechanicum
berühren. »Auf die Erkenntnis,
ob heute der Tag ist, an dem wir sterben werden«, sagte er schließlich.
Als die heulende Flutwelle aus
psionischer Energie sie umhüllte und wie ein bösartiger Hurrikan an ihr zerrte,
schrie Dalia. Sie hörte gellende Stimmen, die sich an der Innenseite ihres
Schädels festklammerten, und ein Flüstern, das sie in diesem Lärm unmöglich
vernehmen konnte, das jedoch so klar klang, als würde sie mitten in der
lautlosen Nacht im Bett liegen.
Weißes Licht erfüllte die
Kammer, die Wände flimmerten in einem Dunst, der von der tosenden silbernen Säule
ausging, die sich vom höchsten Punkt der Kuppel nach unten erstreckte bis zu
dem Thron, auf dem Jonas Milus saß.
Sie hörte das metallische
Scheppern der Tür, die hinter ihr zufiel, und dachte nur kurz an Caxton und die
anderen. Ihr Gewand flatterte in den mächtigen ätherischen Winden, unsichtbare
Energien ließen ihre Haut rau und wund werden, während sie ihr Fleisch und die Knochen
durchdrangen und dann wieder ihren Körper verließen.
Wallende Geister aus purem
Licht schwirrten durch die Kammer, flüchtige, unnatürliche Formen, die sich jeder
Beschreibung entzogen und in den finstersten Winkeln ihrer Fantasie tummelten.
Gefühle in der Form von Wolken
trieben in der Kammer, Blitze der Wut, Zephire des Bedauerns, Hagelschauer des
Verlangens, Hurrikane aus Liebe und Verrat.
Emotionen und Bedeutung umgaben
sie, auch wenn sie selbst keine Erklärung dafür hatte, wie solche Konzepte
greifbare, sichtbare Form annehmen konnten. Sie machte einen Schritt nach vorn
und bemerkte, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet, als sie sah, von welch
urtümlichen Energien sie umgeben und zugleich erfüllt wurde. »Jonas!«, rief
sie. Die Worte schossen in einem roten Schwall aus ihrem Mund, den sie im
ersten Moment erschrocken für Blut hielt, doch die Farbe löste sich in der Luft
so plötzlich auf, wie sie entstanden war. Der Lärm in der Kammer war
unerträglich, wie die Todesschreie einer ganzen Rasse oder die Geburtswehen
einer anderen.
Alle Gefühle und alles Wissen
waren hier, und Dalia begriff, dass dies der Äther war. Hier war das Reich jenseits
jener Ebene, die sie mit ihren Sinnen bewusst wahrnehmen konnte. Dies war die
Quelle allen Wissens und auch die Quelle der größten vorstellbaren Gefahr.
Diesem allen war Jonas Milus
ihretwegen ausgesetzt worden.
Der Gedanke trieb sie weiter,
und sie setzte einen Fuß vor den anderen, während sie sich zwang, den Mahlstrom
aus Licht und Farben zu durchschreiten. Sie fühlte, wie die Energie, die von
den Psionikern in ihren Kapseln entfesselt wurde, ausblutete, da die einer nach
dem anderen zu sterben begannen. Sie konnte spüren, wie ihr Leben endete, wie
es sich in einer Kakophonie aus Licht und Lärm verflüchtigte. Sie weinte vor
lauter Mitgefühl — jeder Tod bohrte sich wie ein nadelspitzer Splitter in ihren
Verstand.
Dalia schirmte ihre Augen ab,
während sie sich dem Podest näherte, auf dem Jonas Milus saß und heftig zuckte.
Das Licht des Astronomicons hüllte ihn in einen gleißenden Schein. Wie von
Krämpfen geschüttelt warf er den Kopf hin und her, sein Mund bewegte sich
unablässig, während er Schreie ausstieß und ganze Sturzbäche von Worten folgen
ließ, die zu schnell über seine Lippen kamen, als dass sie ihn hätte verstehen
können.
Sie kämpfte sich die Stufen zu
ihm hoch und sank auf die Knie, um sich besser gegen den Energiesturm und die
heulenden Geister behaupten zu können, die das Podest umkreisten.
»Jonas!«, rief sie und streckte
die Hand nach ihm aus. Doch sie konnte ihn nicht erreichen, also kroch sie Zentimeter
für Zentimeter weiter, während er unverändert seinen Schmerz hinausschrie.
Feuer loderte in seinen Augen
und flackerte vor uralter Macht, größer als alles, was die Menschheit je
gewusst hatte.
Endlich hatte Dalia die oberste
Stufe erreicht und konnte sehen, wie der Sturm psionischer Energie um ihn
herumwirbelte, den Thron aber nicht berührte, als würde er durch eine
unsichtbare antithetische Barriere zurückgehalten.
Der Thron strahlte, als würde
er von innen durch eine immense elementare Kraft leuchten. Obwohl sie und ihre
Kollegen sich solche Mühe gegeben hatten, dieses Gerät zu konstruieren,
wünschte sie jetzt, sie hätten dabei versagt.
Sie wünschte, sie könnte sich
von ihrer Gabe befreien — und damit auch von den Konsequenzen ihres Handelns.
Noch während ihr dieser Gedanke
durch den Kopf ging, zuckten
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