DGB 09 - Mechanicum
Zouche.
»Kindergeschichten.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Vielleicht, aber ich glaube, hinter Jonas' Worten verbirgt sich mehr.
Jedenfalls zum Teil. Ich will damit sagen, ich habe zahlreiche Geschichten
gefunden über heroische Ritter in strahlenden Rüstungen, die Drachen töten und
Jungfrauen retten, um sie anschließend zu heiraten.«
»Typisch«, merkte Severine an.
»Niemals liest man, dass eine Jungfrau einen Mann vor einem Drachen rettet.«
»Stimmt«, gab Dalia zu.
»Vermutlich passte das nicht in die Zeit, in der diese Geschichten entstanden.«
»Fahr bitte fort, Dalia«,
unterbrach Mellicin sie.
»Was hast du noch
herausgefunden?«
»Nur wenig, was man als Fakten
bezeichnen könnte, aber ich erinnere mich an zahlreiche Texte, bei denen es
sich angeblich um historische Werke handelte, die vermutlich jedoch nur
Mythologien waren, da es um Ungeheuer wie Drachen oder Dämonen ging. Und es wurde
beschrieben, wie Kriegsherrn und Tyrannen an die Macht gelangten.«
»Weißt du, welche Titel diese
Werke trugen?«, fragte Zouche.
Dalia nickte. »Im Wesentlichen
waren das Die Chroniken von Ursh, Revelati Draconis und The Obyte
Fortis . Sie alle erzählten von Drachen und Schlangenmonstern, die Feuer
speien und Jungfrauen verschleppen, um sie zu verspeisen.«
»Die kenne ich«, bestätigte
Caxton.
»Die habe ich als Kind gelesen.
Blutrünstig, aber mitreißend.«
»Diese Geschichten kenne ich
auch«, meldete sich Zouche zu Wort. »Aber für meine Leute stellen sie einfach
nur Geschichten dar, Caxton. Die Gelehrten von Nusa Kambargan brachten uns bei,
dass es sich um allegorische Darstellungen von der Ankunft des Imperators handelt,
um symbolische Darstellungen der Mächte des Lichts, die die Dunkelheit
niederringen.«
»Das ist richtig«, stimmte
Dalia ihr zu.
»Der Drachentöter steht für
einen allmächtigen Gott, der Drache stellt die gefährlichen Mächte des Chaos
dar. Der drachentötende Held war ein Symbol für ein wachsendes Bewusstsein und
Individualisierung — die Reise ins Erwachsenwerden, hin zu einem reiferen
Status.«
»Können das nicht einfach
Geschichten sein?«, warf Caxton ein.
»Warum muss alles irgendeine
Bedeutung besitzen?«
Dalia ignorierte seine
Bemerkung und redete weiter: »Viele Geschichten gleichen sich in dem Punkt,
dass der Drache zwar geschlagen, aber nicht getötet wird. Stattdessen wird er
in eine Form gebracht, durch die aus dem Sieg über ihn Güte und empfindungsfähiges
Leben in die Welt fließen kann.«
»Und was bitte soll ich mir
darunter vorstellen?«, fragte Severine.
»Also gut, dann lasst es mich
mal so ausdrücken«, entgegnete Dalia, die erregt mit den Händen fuchtelte, während
sie ihre Erkenntnisse kundtat.
»In Revelati Draconis beschreibt der Verfasser, dass ein Drache durch einen Himmelsgott mit Hilfe
einer Donnerwaffe geschlagen wird, damit die Wasservorräte freigegeben werden, um
die Welt zu nähren. In einer anderen Geschichte geht es um eine ermordete
Schlangengöttin, die mysteriöse Tafeln in den Händen hielt und deren Körper
benutzt wurde, um Himmel und Hölle zu er-schaffen.«
»Ja«, pflichtete Caxton ihr
bei. »Stimmt. Und dann gab es da auch noch eine Geschichte in den Chroniken
von Ursh über diese Wesen ... ich glaube, sie hießen Unkerhi ... die wurden
von einem >Donnerkrieger< getötet. Aus ihren Überresten soll dann eine
Gebirgskette auf dem merikanischen Kontinent geschaffen worden sein.«
»Genau«, bestätigte Dalia. »Es
gibt eine Fußnote am Ende der Chroniken , in der der Autor eine Rasse
namens Fomorianer beschreibt, denen man nachsagt, sie würden die Fruchtbarkeit
der Erde kontrollieren.«
»Lasst mich raten«, mischte
sich Zouche ein. »Sie wurden geschlagen, aber nicht vernichtet, weil ihre
Existenz für das Wohl der Welt unverzichtbar war.«
»Du hast es erfasst«,
entgegnete Dalia.
»Und was hat das nun alles zu
bedeuten?«, fragte Severine.
»Das hört sich ja sehr
interessant an, aber warum benötigen wir einen Kom-Blocker, wenn wir uns über Drachen
unterhalten?«
»Ist das denn nicht
offensichtlich?«, gab Dalia zurück, dann erst fiel ihr ein, dass ihre Freunde
nicht die Möglichkeit hatten, wie sie Daten nach Belieben abzurufen. »Es ist
klar, dass diese besiegten Mächte, diese Drachen, weiterhin als wertvoll
angesehen wurden, und daraus folgt, dass die Verfasser wussten, der Konflikt
zwischen Drache und Drachentöter drehte sich nicht darum, eine von beiden Seite
ein für alle Mal auszulöschen.
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