DGB 10 - Engel Der Tiefe
mehr als ein
Gerücht. Niemand konnte Jonsons Entscheidung nachvollziehen, aber bislang hatte
auch niemand einen Grund gefunden, sich darüber zu beschweren.
Allen Berichten zufolge war der
gegenwärtige Cypher anders als viele Vorgänger ein verschlossenerer Typ, der
mehr von einem Gelehrten hatte. Viele Stunden brachte er damit zu, sich in den Bibliotheken
und Archiven umzusehen, die überall in der Burg verstreut waren. Die beiden
Pistolen an seinem Gürtel waren dabei aber ein deutlicher Hinweis, dass er es
als Kämpfer mit jedem anderen in der Bruderschaft aufnehmen konnte.
Luther schien ernsthaft
überrascht über Meister Ramiels unterwürfige Geste. Rasch trat er vor und
streckte eine Hand aus.
»Machen Ihre Knie Ihnen
Probleme, Meister?«, fragte er. »Bitte, lassen Sie mich Ihnen aufhelfen.« Dann
schaute er nach links und rechts, betrachtete die Reihen kniender Rekruten und
rief mit lauter Stimme, die von den Mauern der Zitadelle widerhallte: »Erhebt
euch alle, im Namen des Löwen! Wir sind hier alle Brüder, keiner steht über dem
anderen. Ist es nicht so, Lord Cypher?«
Cypher nickte zustimmend. »Ja, das
ist so«, gab er leise zurück, während ein flüchtiges Lächeln seine Mundwinkel
umspielte.
»Jeder von uns täte gut daran,
sich das vor Augen zu halten.«
Einen Moment lang starrte
Meister Ramiel auf Luthers Hand, schließlich nahm er das Angebot widerstrebend
an und richtete sich mit steifen Gelenken auf. In den letzten Jahren war er
stark gealtert, wie Zahariel nun sehen konnte, und neben dem hoch
aufgeschossenen Cypher und Luthers verbesserter Statur wirkte er regelrecht
winzig. So wie die meisten Seniormitglieder des Ordens hatte man auch Ramiel in
die Legion aufgenommen, aber er war bereits da viel zu alt gewesen, um noch die
Gensaat der Dark Angels empfangen zu können. Sonderbarerweise hatte er sogar
die simpelsten körperlichen Verbesserungen und auch die Verjüngung abgelehnt,
die für Männer wie Luther selbstverständlich waren.
Er war und blieb ein Produkt
eines vergangenen Zeitalters, das allmählich im Nebel der Zeit verschwand.
»Aldurukh heißt Sie willkommen,
Bruder«, sagte Ramiel an Luther gewandt. Seine Stimme war vom Alter heiser, was
seinen Tonfall noch ernster und beängstigender wirken ließ. »Der Kapitän der Zorn
von Caliban hat uns von Ihrer bevorstehenden Ankunft in Kenntnis gesetzt,
aber es war nicht mehr genug Zeit, um einen angemessenen Empfang
vorzubereiten.« Er sah zu Luther hoch, das spitze Kinn in einer stolzen, fast
trotzigen Geste vorgeschoben.
»Die Rekruten sind für Ihre
Inspektion bereit. Ich freue mich schon auf Ihr lobendes Urteil.«
Zum ersten Mal fiel Zahariel da
die leicht angespannte Atmosphäre auf dem Burghof auf. Nach der Art zu
urteilen, wie Luther ein wenig die Schultern straffte, musste er es auch
bemerkt haben. Aufmerksam betrachtete der junge Astartes die versam-melten
Rekruten, dabei wurde ihm bewusst, dass Ramiels spontan aufgestelltes
Empfangskomitee auch eine Botschaft an den Kader sein mochte.
Meister Ramiel glaubt, der Löwe
hat das Vertrauen in ihn ebenfalls verloren, dachte Zahariel. Warum sonst wurde Luther mit
einem halben Orden Astartes zurück nach Caliban geschickt, um die Ausbildung
der Rekruten zu übernehmen?
Nie zuvor hatte Zahariel einen
Befehl seines Primarchen angezweifelt. Allein der Gedanke, Jonson könnte einen
Fehler machen, war schlicht unvorstellbar. Aber jetzt kroch ein ungutes Gefühl
wie ein eisiger Schauer über seinen Rücken.
Luther schien sich dagegen aus
Ramiels Tonfall nichts zu machen und umfasste lachend den Arm des anderen
Mannes. »Sie haben mehr über die Ausbildung von Kämpfern vergessen, als ich
jemals wissen werde, Meister«, sagte er laut genug, damit ihn jeder hörte.
»Wir sind hier, um mehr
Rekruten auszubilden, nicht etwa, um sie besser auszubilden.« Dann wandte er
sich zu den versammelten Männern um und lächelte sie stolz an. »Der Imperator
selbst hat gesprochen, Brüder! Er erwartet Großes von unserer Legion, und wir
werden ihm zeigen, dass die Männer von Caliban seiner würdig sind! Ruhm
erwartet euch, Brüder! Besitzt ihr die Loyalität und die Ehre, euch diesen Ruhm
zu verdienen?«
»Aye!«, brüllten die Rekruten
in einem wirren Chor.
»Von Meister Ramiels Schülern
hätte ich auch nichts Geringeres erwartet«, rief er und nickte stolz. »Aber die
Zeit ist knapp, und es gibt noch sehr viel zu tun. Der Große Kreuzzug wartet
nicht auf uns, und schon bald werden meine
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