DGB 12 - Verlorene Söhne
wurde.
Der natürliche aggressive
Zustand des Wolfskönigs schwächte sich ab, die von ihm demonstrierte
Feindseligkeit gegenüber Ahriman ließ nach. Aber damit war auch zu rechnen
gewesen, denn Magnus war Russ' Bruder, ein genetisch' Verwandter, der mit ihm
eine Verbindung zum Imperator teilte, wie es nur wenige andere Wesen von sich
behaupten konnten.
Vor Jahrzehnten hatte Magnus
einmal versucht, bei einer Versammlung des Rehahti die Geschichte von seiner
Erschaffung zu erzählen. Dabei hatte er bewusst von »Erschaffung« gesprochen,
nicht von »Geburt«. Magnus war nicht zur Welt gekommen wie andere Sterbliche,
sondern vom Imperator entworfen und er-schaffen worden. So philosophisch
gebildet seine Hauptleute aber auch waren, die dabei zur Anwendung kommenden
Konzepte waren so fremdartig, dass der Verstand eines Sterblichen nicht
ausreichte, um sie zu begreifen.
Es war schlichtweg zu komplex,
jemandem, der eine so einzigartige beschleunigte Evolution nicht selbst
miterlebt hatte, die Abläufe zu erklären. Niemand konnte ernsthaft nachfühlen,
wie es war, wenn man bewusst wahrnahm, wie sein eigener Körper um einen herum
zu wachsen begann; wenn man merkte, wie das eigene Gehirn nicht als Organismus,
sondern als Architektur entstand; wenn man mit seinem Schöpfer diskutierte,
während die eigene Existenz von der konzeptionellen Möglichkeit zur greifbaren
Realität wechselte.
Und das waren sogar noch die
simpelsten Konzepte, die es zu erfassen galt. Diese Dinge zu wissen und darüber
nicht verrückt zu werden, erforderte einen einzigartigen Verstand, einen Geist,
der hoch genug entwickelt war, um das Unfassbare erfassen zu können, um sich das
Unvorstellbare vorstellen zu können — es erforderte den Geist eines Primarchen.
Diesen Augenblick der
Erschaffung mit einem anderen Wesen teilen zu können, das Wissen, dass es in
all den Äonen der Schöpfung in der Galaxis nie zuvor jemanden gegeben hatte,
der so war wie man selbst und eine Handvoll Brüder — so etwas verband die
Primarchen auf eine Weise miteinander, die Sterbliche niemals erreichen
konnten.
Aber trotz dieser gemeinsamen
Herkunft verband Magnus und Russ keine Bruderliebe. Von der legendären, häufig
beschworenen Bruderschaft der Primarchen war in diesem Moment rein gar nichts
zu spüren.
»Bruder Russ«, sagte Magnus der
Rote und ging an Ahriman vorbei, um sich vor den Wolfskönig zu stellen. Er trug
seine gehörnte Rüstung aus Gold und Leder, der Federumhang flatterte im Wind.
Die beiden Primarchen dienten seit etwas mehr als sechs Monaten im selben Krieg,
und dies war nun ihre erste Begegnung seit dreißig Jahren.
Ahriman war sich nicht sicher,
was er von dem Zusammentreffen der beiden Primarchen nach Jahrzehnten der Trennung
erwartet hatte, aber ganz bestimmt war es keine so gestelzte Demonstration von
Freundschaft, die die beiden zur Schau stellten. Russ' Wölfe knurrten und
fletschten die Zähne. Als Magnus bedächtig den Kopf schüttelte, wichen sie
zurück, legten die Ohren an und drückten sich gegen die Beine ihres Meisters.
»Magnus«, sagte Leman Russ. Das
brüderliche Händeschütteln war eine rein formelle Angelegenheit und vermittelte
keine Wärme.
Er sah Magnus von oben bis
unten an. »Dein Mantel lässt dich wie den Feind aussehen. Das machen die
Federn.«
»Oder vielleicht sieht der
Feind wegen der Federn so aus wie ich.«
»Egal, mir gefällt das nicht.
Du solltest diesen Mantel ablegen. Im Kampf ist er ohnehin nur hinderlich.«
»Das Gleiche könnte ich auch
über deinen kläglichen Wolfspelz sagen.«
»Das könntest du, aber dann
würde ich dich töten müssen«, erwiderte Russ.
»Du könntest es versuchen«,
sagte Magnus.
»Aber es würde dir nicht
gelingen.«
»Meinst du das?«
»Ich weiß es.«
Entsetzt verfolgte Ahriman
diesen Dialog, bis er auf einmal den Anflug eines Lächelns auf Russ' Lippen
bemerkte und in den Augen seines Primarchen ein spitzbübisches Lächeln sah.
Angespannt atmete er durch und
verspürte ein vertrautes Muster in diesem streitsüchtig scheinenden
Wortwechsel. Schon oft hatte er erlebt, dass Soldaten, die sich gegenseitig die
wüstesten Beschimpfungen an den Kopf warfen, in vielen Fällen eng verbundene
Waffenbrüder waren, deren Freundschaft sich daran bemaß, wie übel ihre
Begrüßungen ausfielen. Sollte sich hier etwas Ähnliches abspielen?
Trotz dieser Erkenntnis war die
Stimmung angespannt, als würden sich unter den scherzhaften Bemerkungen echte
Anfeindungen verbergen, die
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