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DGB 13 - Nemesis

DGB 13 - Nemesis

Titel: DGB 13 - Nemesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Swallow
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    Als für Jocasta der Moment des
Todes gekommen war, weinte Gergerra Rei wie ein Kind.
    Seine Knöchel traten weiß
hervor, als er sich an der Balustrade rings um die schwebende Loge
festklammerte, die das Theater ihm gestellt hatte. Hinter ihm standen reglos
die Maschinenwächter, die nicht begriffen, wieso die Unterlippe ihres Herrn so
unkontrolliert bebte, während er heftig nach Luft schnappte. Rei beugte sich vor,
fast so, als könnte er allein mit seinem Willen verhindern, dass sie die
stählerne Schlinge um ihren zarten Hals legte. Ein Schrei wollte ihm über die
Lippen kommen, zu gern hätte er ihr etwas zugerufen, doch er wusste, das konnte
er nicht machen.
    Der Adlige hatte die Oper schon
früher gesehen, und obwohl sie ihn immer wieder zu fesseln vermocht hatte, war
er noch nie so sehr von ihr in Rührung versetzt worden wie an diesem Abend.
    Die zweijährlichen Aufführungen
von Oedipus Neo waren jedes Mal eine verschwenderische, protzige
Angelegenheit, um die herum sich Dutzende Abendessen, Partys und Zusammenkünfte
abspielten. Doch im Kern ging es immer nur um das Stück.
    Jeder rings um den Jupiter
teilte die gleichen Ängste, was die diesjährige Aufführung anging. Zunächst
waren es nur die immer gleichen Neinsager gewesen, die der Ansicht waren, dass
man wegen der Konflikte von der Veranstaltung absehen sollte. Aber nachdem dann
auch noch die Diva Solipis Mun bei einem tragischen Unfall in einer
Luftschleuse ums Leben gekommen war, forderten auch viele andere, man sollte
aus Respekt vor ihr die Opernaufführungen aussetzen.
    Aber wenn er ganz ehrlich sein
sollte, vermisste Rei Mun überhaupt nicht. Als Jocasta hatte sie ihre Rolle mit
viel Enthusiasmus und Energie gespielt, doch nach so vielen Aufführungen litt
irgendwann ihre Darbietung und erweckte den Eindruck, dass sie nur halbherzig
bei der Sache war. Diese neue Königin dagegen, diese neue Jocasta — eine Frau
aus den Sälen der Venus, soweit er das gehört hatte — hatte die Rolle
übernommen und ihr neues Leben eingehaucht. Im ersten Akt schien sie noch Muns
Stil nachzuahmen, doch sehr schnell blühte sie auf und interpretierte die Figur
auf ihre Weise, und damit übertraf sie die verstorbene Diva so überwältigend,
dass Rei ihre Vorgängerin schon nahezu vergessen hatte, als sich die Oper ihrem
Ende näherte. Die neue Schauspielerin hatte zudem einen neuen Stil mitgebracht,
und so waren die üblichen modernen Kleidungs-stücke einer Ansammlung sonderbar
zeitloser Kostüme gewichen, deren metallische Farben und sanfte Kurven bei Rei
auf große Begeisterung stießen.
    Und jetzt, da die Bühne in
blutrotes Licht getaucht war und Blitze von dem Roten Fleck jenseits der
Oberlichter zum Himmel zuckten, nahm sich Jocasta das Leben, während das
Orchester einen unheilvollen Tusch erklingen ließ. Gegen jede Vernunft hoffte
Rei, das Stück könnte abrupt eine andere Wendung nehmen als die Geschichte, die
er so gut kannte. Als der Körper der Schauspielerin mit dem Bühnenrand
verschmolz und die letzten Szenen der Oper ihren Lauf nahmen, musste er
feststellen, dass er sich nicht auf das Schicksal des armen geblendeten Oedipus
konzentrieren konnte, obwohl der männliche Hauptdarsteller im Finale alles gab,
was ihm stürmischen Applaus vom Publikum einbrachte.
    Erst als die schwebende Loge
nach hoch oben auf den Balkon zurückkehrte und mit einem leichten Ruck
aufsetzte, erlangte Rei seine Fassung in einem gewissen Maß zurück und holte
sich selbst aus einer Benommenheit zurück, wie er sie noch nie erlebt hatte.
    Sie hatte ihn tatsächlich
angerührt. Beinahe war es ihm vorgekommen, als hätte die neue Jocasta ganz
allein für ihn gespielt. Er hätte sogar schwören können, dass sie im Augenblick
ihres dramatischen Selbstmords zu ihm gesehen hatte, um wie er ihren Tränen
freien Lauf zu lassen.
    Reis Stellung bedeutete, dass
er selbstverständlich zum Beisammensein nach der Vorstellung im Auditorium
eingeladen war. Normalerweise verzichtete er auf die Teilnahme, weil ihm die
Gesellschaft seiner Maschinen lieber war als die jener korrupten Pfauen, die
unbedingt durch die Unterhaltungsgemeinschaft des Jupiters stolzieren mussten.
Heute Abend allerdings würde er nicht absagen, denn heute Abend würde er ihr
begegnen.
     
    Die Party war eine gelungene
Veranstaltung, alle waren noch immer von der Energie der Darbietung begeistert,
als würde sie immer noch das Theater schwingen lassen, obwohl die letzte Note
längst verklungen war.

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