Dhalgren
Tage verschwinden wie Dollars aus der Tasche, dann kann man überhaupt nichts sagen. Oder doch, aber nicht denken. Er hakte die Daumen in die Taschen, wo der Stoff schon ausfranste und bog um die Ecke.
Zwischen den Lagerhäusern erhob sich die Brücke und verschwand schräg in wabernden Rauchwolken.
Von den verstreuten Fragmenten seiner Neugier blieb der Gedanke: Ich hätte wenigstens eine Tasse Kaffee verlangen sollen, bevor er mich rauswarf. Er räusperte seine klebrige Kehle und rechnete jeden Moment damit, daß die Brückenkabel für immer verschwanden, während er (für immer?) am stinkigen Ufer entlangging, das sich irgendwie niemals zum Wasser hin öffnete.
Diese breite Avenue mußte zur Brücke führen.
Kid ging zwei Blocks lang darauf weiter um ein dunkles, offizielles Gebäude herum. Dann, hinter einer Acht, nach einem Kleeblatt, rollte die Straße zwischen den Pylonen über den Fluß.
Er konnte nur bis zum Anfang des zweiten Abschnitts sehen. Der Nebel begrenzte mit Falten und Ranken das Blickfeld. Neblige Morgendämmerungen sollten feucht und kühl sein. Diese hier war rußig, trocken, kitzelte die Arminnenseiten und die Haut am Hals mit einem Luftzug in Körpertemperatur. Er ging bis zum Rand der Straße und dachte: Es gibt keine Autos. Ich könnte in der Mitte laufen. Plötzlich lachte er laut auf (schluckte Schleim, der sich in der Nacht dort gefangen hatte) und rannte weiter, wedelte mit den Armen, brüllte.
Die Stadt schluckte das Geräusch und gab kein Echo zurück.
Nach dreißig Metern war er müde und trottete und keuchte durch die dicke, trockene Luft. Vielleicht gehen diese Straßen alle einfach weiter, dachte er, und die Brücke bleibt da hängen. Hölle, ich gehe erst zehn Minuten. Er ging durch mehrere Überführungen, begann, wieder zu laufen, kam um eine Kurve bis zum wirklichen Anfang der Brücke.
Die Straßenlinien zwischen den Kabeln zeigten ein Dutzend Vs; ihre gemeinsame Achse verlor sich im Nebel. Langsam und nachdenklich schritt er auf das unsichtbare Ufer zu. Einmal ging er zum Geländer und blickte durch den Rauch auf das Wasser. Er blickte hoch durch die Tragbalken und Kabel über den Gehweg zum Tragpfeiler. Was tue ich bloß hier? dachte er und sah wieder in den Nebel.
Das Auto war noch hinter ihm unter den Unterführungen, als der Motor lauter wurde. Dunkelrot, stumpf und zwanzig Jahre alt, schwang es sich auf den kiesigen Asphalt. Als es heranbrummte, drehte sich der Mann auf dem Rücksitz um, winkte und lächelte.
»Hey!« rief Kid und winkte ihm nach.
Das Auto fuhr weiter, doch der Mann gestikulierte immer noch durch die Heckscheibe.
»Mr. Newboy!« Kid rannte sechs Schritte und rief: »Wiedersehen! Wieder-sehen! Wieder-sehen! Mr. Newboy!«
Zwischen dem Kabelnetz wurde das Auto kleiner, kam in den Rauch und versank wie ein Gewicht auf loser Watte. Einen Moment später - zu schnell für seine eigene Erinnerung, als er die Brücke zu Fuß überquert hatte - war das Motorengeräusch verstummt.
Was war das für ein Geräusch? Kid dachte, es sei ein Sturm, sehr weit weg. Aber es war die Luft, die seine Mundhöhle durchfuhr. Good-bye, Mr. Newboy und fügte mit der gleichen Gutmütigkeit hinzu: Sie sind ein Blechhindenburg, ein luftiger Nautilus, ein Feigling bis auf die Knochen des linken Zehs. Obwohl es ihnen von Hollywood bis zur Hölle peinlich sein wird, hoffe ich, wir werden uns wiedersehen. Ich mag Sie, Sie unehrlicher alter Schwuler. Ganz innen drin mögen Sie mich vielleicht auch. Kid wandte sich um und blickte auf die verhangene Stadt, wie eine Kruste unter dem Rauch, mit blinden Straßen, perligen Farben. In diesem begrenzten Blick war sehr viel Distanz.
Ich könnte diese vage, verschwommene Stadt verlassen . . .
Aber er nahm all seinen Humor zusammen und ging zurück zur Unterführung. Hin und wieder verzerrte sich sein Gesicht grotesk. Wo ist das Zentrum dieser Stadt? fragte er sich und ging weiter, das linke Bein etwas steif, während die Gebäude größer wurden, um ihn wieder zu empfangen.
Ohne Namen und Grund, was werde ich gewinnen? Ich habe Logik und Lachen, kann aber weder meinen Augen noch meinen Händen trauen. Die finstere Stadt, Stadt ohne Zeit, die großzügige, saprophytische Stadt: Es ist morgen, und ich vermisse die klare Nacht. Realität? Der einzige Augenblick, als ich ihr nahekam, war auf der mondlosen mexikanischen Wüste, als ich in dieser heiligen, hohlen Nacht zu den funkelnden Sternen aufblickte. Tag? Es ist wunderschön dort, in
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