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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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konturloser Schatten von den fummelnden Fingern wegfiel. Es dauerte fast zehn Minuten, bis er es repariert hatte.
    Und man sah immer noch, wo die Kette zerrissen gewesen war.
    Als er fertig war, war er sehr deprimiert.
     

 
    WESEN AUS LICHT UND DUNKELHEIT
     
     
    V
     
    Als er einige Minuten lang weitergegangen und um mehrere Ecken gebogen war, als die Spannung in Nacken und Rücken nachgelassen hatte (jetzt konnte er Worte denken, ohne daß allen fünf Sinnen hysterische Eindrücke erschienen), pißte er mitten auf die Straße. Er hoffte, jemand würde vorbeikommen, ging mit halboffenem Reißverschluß, die Daumen unter den Gürtel geklemmt, weiter und fragte sich: Was soll schon sein, wenn man gelegentlich einen roten Augapfel sieht, hey? Doch: Wenn das eine Halluzination ist, wie kann ich behaupten, alles andere sei real? Vielleicht existiert die Hälfte aller Leute, die ich hier sehe, gar nicht? Wie der Typ, der gerade wegrannte? Was tut er in meiner Welt? Irgendein Erinnerungsfetzen aus Mexiko, aus Rauch und Müdigkeit aufgetaucht? Wie kann ich wissen, daß vor mir nicht ein Abgrund liegt, den ich halluzinativ als festen Boden sehe? (Der Aufgang zur Brücke ... als ich zuerst da herunterkam . . . alles war zerborsten, und Beton türmte sich auf . . .?) Das Ganze ein Traum? Ich habe damit aufgehört, als ich siebzehn oder achtzehn war. Fünf Tage!
    Ich bin wieder wahnsinnig, dachte er. Tränen quollen hoch. Er schluckte schwer. Ich will das nicht wieder. Ich bin müde, ich bin müde und taub. Ich bin so müde, daß ich nichts mehr richtig begreife und mein Kopf nur noch jedes zweite Mal richtig arbeitet. Ich habe Durst. In meinem Kopf steckt nur noch Baumwolle, die auch Kaffee nicht herausbringen kann. Und doch hätte ich gern einen. Wo gehe ich hin? Was stolpere ich hier auf diesem Friedhof herum? Es ist nicht der Schmerz, sondern, daß der Schmerz nicht aufhört.
    Er versuchte, sämtliche Muskeln zu entspannen und ging ziellos vom Trottoir in den Rinnstein. Sein Mund wurde trockener, trockener und trockener. Nun gut, dachte er, wenn es weh tut, dann tut es eben weh. Okay (er blickte hoch zu den über den Oberleitungen der Busse verschwimmenden Häuserdächern). Ich habe es mir ausgesucht. Ich bin hier.
    Zum Kloster gehen? Ja, jetzt, wo immer es auch sein mochte und was auch immer es war. Mauern und weiße Gebäude? Silben, die die Bedeutung fortmurmelten? Ihm war nichts begegnet, was es möglicherweise hätte sein können. Die Straßen waren voller Abfall, Monate alt, vertrocknet und geruchlos, fahlgewordene und zerkrümelte Exkremente, verknöcherte Obstschalen, alte Zeitungen, die einmal naß gewesen und jetzt brüchig getrocknet waren.
    Er wühlte in den Falten seines Bewußtseins nach Traurigkeit: Kristall hatte sich zu kalkigem Staub aufgelöst.
    . . . sah sie aus? dachte er und war zu müde, um in Panik auszubrechen. Ihr Name, wie hieß sie?
    Lanya. Und er sah ihr kurzes Haar, die grünen Augen, und sie war nicht da.
    Eines der Straßenschilder war dreckverschmiert und zerkratzt, das andere ein leerer Rahmen. Er bog wegen des klopfenden Geräuschs in eine Seitengasse. Sekundenlang wußte er nicht, was passiert war: Eine Reihe Baumstämme auf dem schmalen Weg, jeder in einem Metallkäfig, waren zu verkohlten Spitzen verbrannt. Erstaunt ging Kid die Straße hinab, die jetzt breit genug für zwei Autos war.
    Denny saß rittlings auf dem Kühler eines umgestürzten Autos über dem zerborstenen Scheinwerfer und trommelte mit zwei Fingern auf dem verbogenen Rahmen. Kid ging auf ihn zu und fragte sich, wann er zu reden beginnen sollte .. .
    »Hey, du!« Aus Dennys Überraschung wurde Entzücken. »Was machst du denn hier?« Er schlug einmal mit allen Knöcheln zu und brach ab. »Was machs' du, huh?«
    »Lauf nur so rum. Suche jemanden, der mir den Schwanz leckt. Oder so. Ist nur niemand unterwegs.«
    »Huh?« Denny sah verwirrt aus und dann - zu Kids Überraschung - verlegen. Dreimal fuhr er mit dem Finger über den Chromrand und blickte dann mit zusammengepreßten Lippen auf. »Am unteren Ende vom Park sind die Schwulen, Tag und Nacht. Du weißt schon, der Teil mit den Wegen.«
    »Nein.«
    »Also, stimmt aber.« Noch einmal glitten Dennys Finger hin und her. »Wenn du die ganze Nacht herumgelaufen bist, kannst du nicht sehr intensiv gesucht haben.«
    »Ich war da bei diesem Typen«, erklärte Kid. »Ich dachte, er machte es mir, aber dann kam jemand anders, und er schmiß mich raus. Was machst du denn so

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