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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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der schichtigen Landschaft, rot, messing und blau, ist jedoch so verzerrt wie die Entfernung selber, die Realität durch bleiche Zerfaserung maskiert.
    Häuser, knochig und mit Ornamenten überladen; in den verschiedenen Höhen durch Steine eingefaßt: Fenster, der Fenstersturz, Sims und Fensterbank, strukturierten ein Dutzend Flächen. Wellen fegten darüber, wischten über Staub, den sie aber wegen ihrer Leichtigkeit nicht bewegen konnten, ballten sich auf der Straße und explodierten langsam wieder. Er konnte es zwei Blocks vor sich sehen, doch wenn er dort ankam, waren sie verschwunden.
    Ich bin allein, dachte er, und der Rest ist erträglich. Und fragte sich, warum Einsamkeit in ihm fast immer ein sexuelles Gefühl war. Er trat vom Bürgersteig und hielt sich an der Reihe alter, geparkter Autos - nichts war hier jünger als von '68 - und dachte: Was in dieser zeitlosen Stadt so schrecklich ist, in diesem raumlosen Reservat, wo man überall ausgleiten kann, daß diese beengenden Mauern, eingerahmt mit Feuertreppen, Toren und Zinnen zu instabil sind, zurückzuhalten, so daß sich von mir als dem sich bewegenden Knotenpunkt alles durch Flut und langsames Versickern über die gesamte unangenehme Fläche auszubreiten scheint. Ihm erschien das flüchtige Bild: Alle diese Mauern sitzen auf Drehzapfen, die von unterirdischen Maschinen kontrolliert werden, so daß sie, wenn er vorbeigegangen war, sich plötzlich in eine andere Richtung drehten, sich an dieser Ecke teilten, an der anderen wieder zusammenfügten, wie eine große Kulisse - auf ewig anpaßbar und von daher nicht zu erlernen.
    Als der dicke Mann auf die Straße rannte, erkannte Kid zunächst nur das grüngraue kragenlose Wollhemd. Er kam schwerfällig aus der Seitenstraße, sah Kid und stürzte auf ihn zu. Es war einer der weißen Männer aus der Kirche gestern abend.
    Das fleischige Gesicht, rot und schweißfleckig, zitterte über pumpenden Fäusten. Der Kopf war unter einem gelblichen Flaum fleckig. Auf der Stirn lag das Haar wie Messingstreifen.
    Plötzlich begann Kid, sich rückwärts zu bewegen. »Hey, paß auf -«
    »Du -!« Der Mann kauerte sich zusammen. Seine Finger griffen nach Kids Kette, zogen daran. »Du bist doch der . . .« Der mexikanische Akzent schnitt in Kids fragmentarische Erinnerung.
    »Als ich . . . hast du nicht . . . nein? Bitte . . . nicht . . .« Der Mann keuchte mit feuchten Lippen. Seine Augen waren wie rotgeäderte Koralle. »Oh, bitte, nicht ... du warst da drin, ja? Ich . . . ich meine, du hängst so rum. Sie werden . . .« Sein Mund preßte sich zusammen; er blickte über die Straße, wieder zurück. »Du . . . oh, The Kid!« Und zerrte die Hand aus den verhedderten Kettengliedern, während Kid dachte: Nein, The Kid hat er nicht gesagt, vielleicht war das etwas ganz anderes. Der Mann schüttelte den Kopf: »Nein, du nicht . . . Hey, nicht . . .«
    »Komm«, sagte Kid und versuchte, seinen Arm zu ergreifen. »Brauchst du Hilfe? Laß mich -«
    Der Mann riß sich los, fiel fast hin und begann zu laufen.
    Kid lief zwei Schritt hinter ihm her, bremste dann ab.
    Der blonde Mexikaner stolperte auf der anderen Straßenseite, zog sich hoch und verschwand in einer Seitenstraße.
    Kid fiel die mexikanische Stimme aus dem Flur bei den Richards ein und verschiedene Satzfetzen von Dreizehn. Amphetamin-Psychose? Und dann dachte er klar und deutlich:
    Er war . . . verrückt!
    Etwas stürzte seinen Bauch hinab, kribbelte wie ein Ameisenhaufen. - Einen Moment hielt er es für ein Frösteln wegen des Wiedererkennens, doch ein richtiges Frösteln wurde einen Augenblick später heiß.
    Es war die optische Kette, die wahrscheinlich vom Zerren des Mannes aufgegangen und über seinen Bauch gefallen war.
    Kid nahm das lose Ende, fand das andere über der Brust hängend - es war zwischen Linse und Prisma gerissen - und bog den dünnen Draht zusammen. An einem Ende hing noch ein winziges, verbogenes Stückchen Blech. Mit großen, unbeholfenen Fingern, die unter der Schwiele fast taub waren, versuchte er, es zusammenzufügen. Er stand mitten auf der Straße, drehte es, bog es, hielt manchmal den Atem an und ließ ihn dann plötzlich laut wieder mit einem »Shit!« oder »Fuck!« heraus. Seine Achselhöhlen wurden schweißnaß vor Konzentration. Seine Fersen, eine im Stiefel, die andere barfuß, brannten mit verschiedenen Hitzen. Sein Kinn war gegen den Hals gedrückt, im Dämmerlicht kniff er die Augen zusammen, drehte sich einmal so, daß sein eigener

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