Dhalgren
da unten mit ein paar gezielten Schüssen ein bißchen Theater machen - nur als Zielübung? Wie findest du das, Reb?«
Jack sagte nüchtern und ohne hinzusehen: »Alle habt ihr hier komische Ideen. Jeder, den ich bis jetzt getroffen habe, hat komische Ideen.« Nicht nüchtern, kam Kid ein zweiter Gedanke. Jacks Stimme besaß den undeutlichen Tonfall eines sehr Betrunkenen.
»Warum bringt ihr überhaupt an so einen Ort eure Knarren mit?« fragte Mark.
»Sie hatten Gewehre«, antwortete der Lockige und stellte den Gewehrkolben zurück auf die Erde. »Hast du gesehen, wie diese Nigger uns rausschmeißen wollten, weil wir Gewehre hatten. Das ist doch nicht richtig. Sie hatten Gewehre, wir hatten Gewehre - alle Menschen sind gleich. Wußtest du das nicht? - Hey, nimm deine Finger weg!«
»Ich wollte es nur sehen«, sagte die Frau in der Bauernbluse. »Außerdem bin ich ein besserer Schütze als du.«
»Yeah?« sagte der Mann. »Klar.« Er legte den lockigen Kopf an den Lauf.
»Bin ich wirklich.«
»Welcher ist denn Harrison?« fragte einer der anderen. »Sie sehen irgendwie alle gleich aus.« Er lachte. »Zumindest von hier oben.«
Jack stellte einen Fuß ab.
Sonst - Ellenbogen neben dem Gewehr auf den Lehnen, Kinn auf den Fäusten und ein glänzendes Knie weit abgespreizt - bewegte er sich nicht.
»Was schreit denn die Frau da unten so? Jesus . . .«
Kid blickte Glas an, der neben ihn getreten war. Glas blickte stirnrunzelnd und mit kurzem, mißbilligendem Kopfschütteln auf die kleine Gruppe.
Kid wies mit dem Kinn die spiralige Treppe hinab, drehte sich um und ging hinunter.
Die Halle voller zusammengedrängter Männer und Frauen drehte sich und empfing ihn.
»Wahnsinnig!« sagte Glas am Fuß der Treppe und hielt Kid mit einer warmen Hand auf der Schulter zurück. »Ich meine, Jesus, Mann . . .«
»Laß uns George finden.« Kid holte tief Luft. »Wir sagen ihm, daß sie da oben sind und sehen, was er macht.«
»Wahrscheinlich werden sie nichts tun . . .« sagte Glas vorsichtig.
»Dann suchen wir George, sagen ihm, daß da eine Bande Weißer auf dem Balkon sitzt, von denen zwei Gewehre haben, die wahrscheinlich nichts tun werden.« Kid wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, sah eine Lücke in der Menge und schlüpfte hinein.
Hinter ihm versuchte Glas während des Gehens: »Vielleicht weiß George schon, daß sie da sind?«
»Fein«, sagte Kid über die Schulter. »Dann kann er es uns auch sagen.«
Drei Kübel neben der Wand enthielten die drei und vier Fuß hohen Kakteen - die Art, die, wie Kid gehört hatte, ihre Wurzeln dreißig bis vierzig Fuß tief in den Wüstenboden senken, um Wasser zu finden.
An dem nächststehenden hing zwischen braunen unregelmäßigen Stacheln etwas wie ein rosa Taschentuch. Zwei Schritt näher sah Kid, daß es die Überreste einer Blüte waren, so breit wie seine Hand und schlaff auf einem dicken Blatt.
Vor dem letzten stand George in einer lauten, fröhlichen Gruppe. Eine Frau mit Armen wie braune Säcke, faltig an Ellenbogen, Handgelenken und Knöcheln, schwang eine Flasche, bot sie hier und dort unter Küssen und explodierendem Kreischen an.
Kid blickte zum Balkon hoch. Nein, von hier konnte man sie nicht sehen.
Kid drängte sich in die Gruppe. Ein Arm preßte seinen Arm, eine Hand drückte gegen seinen Rücken, wie um jemand Unsicheren abzustützen. Er schwitzte wieder. »George - ? Hey George?« Er fragte sich, warum, und fand als Antwort die Erinnerung an die Begegnung vor zehn Minuten: Der zwanghafte Bericht über June, sein eigenes Entsetzen, das nun zurückkehrte. »George, ich muß dir -« Er nahm die angebotene Flasche, trank, reichte sie weiter. »George, ich muß dich eine Minute sprechen, Mann!« Habe ich vor ihm Angst? fragte sich Kid. Wenn das alles ist, dann brauche ich bloß keine Angst vor der Angst zu haben. »George . . .!«
Jetzt hatte Harrison die Flasche. Sein Arm hob sich, sein Lachen perlte die Tonleiter abwärts. »Hey, was ist denn los Kid? Das hier ist Kid. Kid möchte eine Sekunde mir mit reden« - dann fiel der Arm um Kids Schulter -, »bin also in einer Sekunde zurück.« Der dunkle Kopf beugte sich mit erwartendem Schwung und gespannter Aufmerksamkeit nahe an Kids.
»Also«, sagte Kid. »Draußen hat so ein Typ darüber geredet, wie heute ein paar Leute mitten auf der Straße von Heckenschützen niedergeschossen wurden. Oben auf dem Balkon sitzt ein halbes Dutzend Weißer - zwei davon mit Gewehren. Sie sitzen da und machen
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