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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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Straße, lief weiter, bis er fast rannte, und jeder Ton dauerte einen halben Block.
    Rannte um noch eine Ecke.
    Und sein voller Atem zischte durch die Zähne.
    Der Mann hob die Handflächen, seine Fingerspitzen blieben unten und malten feuchte Linien auf das Pflaster, bevor er zur Seite rollte und den größten Teil der Wunde entblößte. Der, der stand, schwankte und schwitzte. Als die Frau an der Ecke zu schreien begann »OhmeiGott! Ohmeigott! Hiiiiilllfe!« rannte der Stehende los.
    Er sah, wie er rannte und schrie, kurz, zweimal.
    Der Mann auf der Straße grunzte.
    Jemand rannte zu ihm, schüttelte ihn, und er wich zurück, gab einen anderen Laut von sich; dann rannte er auch los, und was als Musik angefangen hatte, wurde jetzt zu einem Klagelaut. Er rannte, bis er gehen mußte. Er ging, bis er zu singen aufhören mußte. Dann rannte er wieder. Mit rauher Kehle weinte er wieder.
    Er kam dabei an einem Haufen unrasierter Männer vorbei; einer deutete mit dem Finger auf ihn, aber ein anderer drückte ihm eine Flasche in die Hand, die purpurne Flecken hatte.
    Er rannte.
    Er weinte.
    Er kürzte den Weg durch den Wald ab. Und rannte schneller.
    Er rannte unter den Schleiern des Abends über die breite Straße. Lichter rollten plötzlich wie zwei Halsbänder die Avenue hinunter, mit Ampeln und Schlußleuchten dazwischen. Er schrie. Und weil die Leute ihn ansahen, floh er von der Straße.
    Diese Straße war vertrauter. Lärm machte seine Kehle wund. Lichter brannten ihm die Augen; Hecken waren in der Dunkelheit verhext. Und jetzt brüllte er -
    »Um Himmels willen -«
    Er fiel fast in ihre Hände! Mutter, und er versuchte, sie zu umarmen, aber sie hielt ihn von sich ab.
    »Wo warst du? Was ist los mit dir? Schreist so auf der Straße herum!«
    Sein Mund klappte zu. Hinter seinen Zähnen baute sich ein betäubendes Geräusch auf.
    »Wir haben fast den ganzen Tag nach dir gesucht!«
    Nichts entfuhr ihm. Er keuchte. Sie nahm seinen Arm und führte ihn.
    »Dein Vater« - der gerade um die Ecke bog - »kommt zum ersten Mal seit zwei Wochen heim, und du haust einfach ab!«
    »Da ist er ja! Wo hast du ihn gefunden!« Und sein Vater lachte, das war wenigstens ein Geräusch. Aber nicht seins.
    Sie empfingen ihn liebevoll schimpfend. Lebhafter aber war die brennende Energie, die er nicht herauslassen konnte. Er wollte weinen, war aber still geblieben, hatte auf seinen Knöcheln, den Handballen, der Nagelhaut und den Resten seiner Fingernägel gekaut.
    Diese lebhaften vollständigen Erinnerungen lösten weniger auf als die, die rätselhafte Lücken hatten. Doch hinterher fühlte er sich sicherer.
    Er suchte seine Erinnerung nach seinem Namen ab. Einmal vielleicht, als ihn seine Mutter auf der Straße gerufen hatte . . .
    Nein.
    Und die Erinnerung verschwamm.
    Wie kann ich sagen, daß das mein größter Besitz ist? (Sie vergehen nicht, genausowenig wie die Gebäude da oder die hier.) Ist es nicht vielmehr so, daß das, was wir als Realität kennen, durch unsichtbare Hitze weggebrannt wird? Das, was uns angeht ist nicht so stabil. Ich weiß es nicht. Es ist wohl so einfach. Zum hundertsten Mal, ich weiß es nicht, und ich kann mich nicht erinnern. Ich möchte nicht wieder kotzen. Ich möchte nicht wieder kotzen.
    Diese giftige Grinsen . . .?
    Nicht auf die Löwen, zwischen denen er letzte Nacht mit Tak hindurchgegangen war.
    Vage dachte er, er sei auf den Fluß zugegangen. Aber irgendein Zufall oder physische Erinnerung hatte ihn zum Park zurückkehren lassen.
    Hinter dem Eingang war aschiges Gras; verschwommene Bäume bewaldeten die Kuppe.
    Er drehte seinen Zeigefinger in der Nase, steckte ihn wegen des Salzes in den Mund. Dann lachte er und drückte seine Hand gegen den steinernen Kopf; bewegte die Hand. Flecken zogen zwischen seinen Fingern vorbei. Der Himmel - er hatte gelacht, den Kopf hochgeworfen - sah nicht unendlich fern aus; eine weiche Decke, vielleicht zwanzig, hundertzwanzig Fuß weit weg. Oh, ja, Lachen war gut. Verschwommener Himmel, und Tränen füllten seine Augen; er bewegte die Hand auf dem zerborstenen Kiefer. Als er die Hand von den dichtgesetzten Zeichen herunternahm, atmete er schwer.
    Kein frischer Windstoß über das Gras hinweg. Sein Atem war dünn, rauh, ließ Trägheit ahnen, Hindernisse und Adern. Immerhin, er hatte gelacht.
    Der Bildhauer hatte die Löcher für die Augen zu tief gemeißelt, daß man den Boden nicht sehen konnte.
    Er steckte wieder den Finger in die Nase, saugte daran, kaute, brüllte

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