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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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»weggesteckt«.
    Aber ich wurde plötzlich wütend: »Sie haben nicht viel Ahnung von Verrückten, oder?«
    »Was wollen Sie mir denn darüber erzählen?«
    »Schauen Sie - ich bin sehr anregbar. Labil . . . wie sie sagen. Ich füge schnell die Dinge in mein Realitätsmodell hinein. Vielleicht zu schnell. Vielleicht macht mich das verrückt. Aber wenn Sie mir sagen, ich sei krank, oder behandeln uns, als seien wir krank, wird das ein . . . Teil von mir. Und dann bin ich es.« Und plötzlich wollte ich weinen, viel weinen.
    »Was ist los?« Ich wollte sagen: Ich hasse Sie. »Glauben Sie, daß Sie verrückt sind?«
    »Ich nicht . . . glaube nicht, daß Sie überhaupt denken!« Dann weinte ich. Es überraschte mich ungeheuer. Ich konnte die Hände nicht bewegen. Aber ich senkte den Kopf, damit die Schmerzen im Nacken nachließen. Wasser rann an den Nasenflügeln entlang. Dachte: Jesus, das ging schnell! Und schnüffelte, als die Stille mir auf die Nerven zu gehen begann.
    »Gefiel es Ihnen in dem Krankenhaus?«
    »Gefallen . . .?« Ich hob den Kopf. »Sie waren das doch, die das sagte . . .« Noch eine Träne rollte herab. Ich fror. ». . . nein, Sie haben das doch gesagt, daß man die Leute, die vorhanden sind, lieben lernt. Nun, dort waren eine Menge verletzter Menschen, bei denen es sehr schwerfiel, sie lieben zu lernen, sehr teuer - emotional gesehen. Aber ja, ich glaube, ich tat es.«
    »Warum weinen Sie?«
    »Weil ich nicht an Zauberei glaube.« Wieder schnüffelte ich; dieses Mal glitt etwas Salziges, etwa muschelgroß aus der Rachenhöhle, und ich schluckte es hinunter. »Sie sind eine magische Person, so wie Sie da sitzen. Und Sie sitzen da, weil Sie glauben, mir helfen zu können.«
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    Ich wurde wieder wütend. Aber es saß tief und brodelte unterhalb anderer Sachen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Aber das hat nichts zu tun mit der Tatsache, daß Sie das glauben.«
    »Sind Sie auf mich wütend?«
    Ich holte tief Luft. »Nicht . . . richtig.« Die Wutblasen zerplatzten eine nach der anderen. Die aufwallenden Dämpfe absorbierte ich.
    Mein Magen war sehr verkrampft.
    »Ist in Ordnung, wenn Sie es sind. Vielleicht haben Sie guten Grund dazu.«
    »Warum sollte . . .?« und stoppte, weil mir ungefähr zehn Erklärungen einfielen. Ich sagte: »Sie sind blasiert. Sie sind nicht mitleidig. Sie glauben, Sie verstehen alles. Und das tun Sie nicht . . . «
    »Ich verstehe es jetzt noch nicht. Und ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird. Und bislang haben Sie mir noch keinen Grund gegeben, mitleidig zu sein. Wenn ich blasiert bin, nun . . . das wäre ich lieber nicht, aber ich spüre eine Art Vorbehalt in mir, Ihnen bereits jetzt zu nahe zu kommen; vielleicht ist das Überheblichkeit.«
    »Ich glaube nicht, daß Sie es verstehen können.«
    Ich verschränkte beide Hände im Schoß und schob sie dann gegeneinander. Sie fühlten sich taub an. Auch meine Füße.
    »Wie fühlen Sie sich jetzt?«
    »Nicht besonders.«
    »Möchten Sie wieder weinen?«
    Ich holte Luft. »Nein, das will ich nicht . . .« Ich legte den Kopf zurück. »Ich glaube, ich habe es verloren, was immer auch herauskommen sollte . . .«
    »Sind Sie eine sehr emotionale Person? Weinen Sie oft?«
    »Das war das erste Mal seit . . . drei Jahren, vielleicht auch vier . . . eine lange Zeit.«
    Sie hob die Augenbrauen. Nach einem Moment sagte sie: »Dann stehen Sie wahrscheinlich unter einem ziemlichen Druck. Unter welchem Druck stehen Sie?«
    »Ich glaube, ich werde verrückt. Und das will ich nicht. Ich mag es nicht. Ich mag das Leben. Ich lebe gern. Ich mag, was um mich herum vorgeht, beobachte gerne, und ich mache auch gern etwas. Es gibt eine Menge Leute und Situationen um mich herum, an denen ich Spaß habe. Und ich bin an einem Ort, an dem ich mir nicht alle möglichen Sorgen machen muß. Ich will nicht wieder bekloppt werden. Nicht jetzt.«
    Nach einem Moment lächelte sie: »Ich habe gelegentlich bei ziemlich erfolgreichen Geschäftsleuten Therapie gemacht. Eine Menge Geld, glückliche Familien, einige sogar ohne Magengeschwüre - die aber praktisch das gleiche gesagt haben wie Sie eben und auch auf die gleiche Weise. Wir kennen einander auch außerhalb dieser Sitzungen, und ich muß zugestehen, auch von dem, was ich selber beobachtet habe und was Lanya mir erzählt hat, finde ich es leicht ironisch, ich meine, daß Sie es auf so ähnliche Weise ausdrücken.«
    »Ich habe schon gesagt, Sie würden es nicht

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