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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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-, was sie wohl sagen würden, wenn ich ihnen einiges von den Sachen erzählen würde, die Sie so gemacht haben - nur wegen der Aufregung, die ich dadurch verursache. An diesem Punkt sage ich mir dann, das ist, weil ich Sie >hoch einschätze< und sie > verurteile <.«
    »Wenn Sie sie aufregen wollten, würden Sie ihnen etwas über June erzählen, über Bobby und . . . wie heißt er doch? Eddie.«
    »Natürlich halten Sie es mit den Jungen.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich bin fast dreißig Jahre alt. Und ich könnte nicht sagen, zu welcher Seite ich gehöre, aus dem, was mir manche Leute erzählen. Ich nehme keine Partei; ich deute nur auf einige aufregende Seiten ihres Lebens hin, die etwas näher an zu Hause liegen.«
    »Bei dem Zuhause der Richards. Was ist mit Ihrem eigenen?« »Sie wollten mir sagen, wie Sie Kid finden. Vielleicht treten Sie auf etwas, und ich drehe es für Sie herum.«
    »Gut. Ich denke . . .« Ich blickte auf ihr Bein.
    ». . . Sie sind sehr verstört. Sie sind ansehnlich, intelligent, kräftig, vital, begabt. Aber die Grundstruktur Ihrer Persönlichkeit ist ungefähr so stabil wie eine gesprungene Teetasse. Sie sagen, Sie haben Teile von sich verloren? Ich glaube, genau das ist passiert. Der Punkt ist, Kid, wir behandeln geistig Gestörte immer noch nicht, als seien sie einfach krank. Wir behandeln sie, als hielten wir sie für eine Kombination aus Unsauberkeit, Depraviertheit und Unheil. Sie wissen, daß die ersten Heilanstalten in Europa sich aus den Leprastationen entwickeln, die auf dem ganzen Kontinent am Ende des Mittelalters leer standen - aus irgendeinem Grund, den wir immer noch nicht kennen, verschwand die Seuche für fünfundsiebzig Jahre, nachdem sie dreitausend Jahre lang gewütet hatte. War es der gestiegene Hygienestandard? Eine Mutation des Erregers? Interessant ist aber, Kid, obschon man die Geistesgestörten manchmal auf Schiffe verfrachtete und auf den Flüssen treiben ließ, daß man sie bis dahin nie kaserniert hatte. Doch als man sie plötzlich in diese riesigen leeren Gebäude einsperrte, die in einigen Fällen seit Hunderten von Jahren Lepröse beherbergt hatten, nahmen sie auch die Bürde von dreitausend Jahren Aberglauben und Angst, die mit dieser unglückseligen Krankheit einhergingen auf sich. Und es klingt nicht unvernünftig, wenn man sagt, daß man sie auch heute noch ganz genauso betrachtet - in Verbindung mit religiösen Gedanken. Geisteskrankheit wird immer noch als eine Geißel Gottes angesehen. Freud und seine Anhänger haben es in eine viel intellektuellere Geißel verwandelt. Aber selbst für ihn ist es grundsätzlich ein schlimmer Zustand, der sich daraus ergibt, wie man sein Leben gelebt und wie die Eltern ihres verbracht haben. Und das ist wie bei der biblischen Lepra, nicht wie bei einer ordinären Erkältung. Sagen Sie, wie würden Sie auf den Gedanken reagieren, alle Ihre Probleme - die Halluzinationen, die Depressionen, selbst die Augenblicke der Ekstase - seien biogenetisch? Daß die Ausfälle des Erinnerungsvermögens ein Fehler der RNS in der inneren Hirnrinde sind, daß die plötzlichen Angstanfälle Adrenalinausstöße sind, verursacht durch gelegentliche hypophysäre Krämpfe: daß die Sie heimsuchende Irrealität eine Zyste in der Epiphyse ist, die die Produktion von Serotonin verhindert?«
    Ich blickte auf die Mondlandschaft ohne Bäume.
    »Ganz genauso fühlt es sich an«, sagte ich.
    »Dann unterscheiden Sie sich doch von dem Geschäftsmann darin, der normalerweise zögert, die nicht-biologische Erklärung seiner Symptome aufzugeben. Der überdeterminierte Mensch hat lieber irgend etwas Wichtiges, selbst wenn das Wichtige dumm ist.«
    »Als ich in der Heilanstalt war« - als ich mich erinnerte, mußte ich lächeln -, »hatte ich einen Freund, der sagte immer: >Wenn du paranoid bist, klingt alles vernünftig. < Aber das ist es nicht ganz. Es ist, als ob alle Dinge, von denen man weiß, daß sie nicht zusammenpassen, plötzlich so wirken, als täten sie es doch. Alles, was man betrachtet, ist nur einen Zollbreit entfernt von seinem üblichen Platz, alles in absolut vernünftigen Kombinationen.« Wieder sah ich auf ihr Bein. »Man weiß nur nie, nach welcher Seite man es einen Zollbreit rücken soll . . . « Ich fühlte, wie sich meine Haut vor Konzentration über dem Schädel spannte.
    Sie sagte: »Ihr Traum. Können Sie sagen, warum Sie mir gerade das erzählen wollten?«
    Ich blickte in den Schoß. »Ich weiß es nicht. Es hat mich nur sehr

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