DHAMPIR - Blutsverrat
ablenkte. »Braucht Ihr noch etwas aus dem Gasthof?«, erkundigte er sich.
Die Frage überraschte Hedí, und sie beschloss, die gute Gelegenheit zu nutzen.
»Ich habe meine Sachen, doch mehrere unerledigte Dinge sind zurückgeblieben. Es gibt da einige Briefe, die ich zu Ende schreiben muss, und die eine oder andere Angelegenheit in Hinsicht auf die Familie des Barons. Wenn ich mit Emêl sprechen könnte, so wäre er in der Lage, sich um alles zu kümmern. Würdet Ihr ihm eine Nachricht schicken?«
Hedís Herz klopfte, als Darmouth sie anstarrte. Er sagte nicht Ja, aber er lehnte auch nicht ab. Stattdessen sah er zu den Soldaten.
»Omasta!Kommmitmir.DuwirstdieJägerinamMittagbeimWachhausempfangen.«DarmouthsBlickglittzudemSamtbandanHedísHals.»WirerledigendasUngeheuer,dasEuchdiesangetanhat.«
Hedí lächelte und nickte scheu. »Danke. Das ist mir ein großer Trost. Anschließend kann ich zur Bronzenen Glocke zurückkehren, ohne etwas befürchten zu müssen.«
Auch diesmal verzichtete Darmouth auf eine Antwort, drehte sich um und verließ den Speiseraum. Hedí fragte sich, wer die Jägerin war, die »Dhampir«, wie Viscount Andraso sie genannt hatte.
Omasta legte das Brot auf den Tisch und folgte seinem Herrn. Darmouth schritt durch den Torbogen und sah zu Hedí zurüc k – der Leutnant musste zur Seite treten, um ihm nicht die Sicht zu versperren.
»Euer Haar gefällt mir heute Morgen nicht«, sagte Darmouth. »Tragt es nicht noch einmal auf diese Weise.«
Hedí senkte ehrerbietig den Blick, und Darmouth ging ohne ein weiteres Wort. Unter dem Tisch ballte Hedí die Hände zu Fäusten.
Vielleicht sollte sie sich den Kopf scheren und sehen, wie er darauf reagierte. Sie hasste Darmouth mehr als jeden anderen Mensche n – abgesehen von der Person, die ihren Vater im Schlaf umgebracht hatte. Alle Blicke im Speiseraum waren auf sie gerichtet, und plötzlich hatte sie keinen Appetit mehr.
Sie stand auf, trat in den großen Eingangsbereich und fragte sich, was sie tun sollte. Direkt gegenüber befand sich der Ratssaal, wo sie vor zwei Tagen abends gesessen hatte, in Gesellschaft des wahren Ungeheuers in diesem Land. Ihr lag nichts daran, jenen Ort wiederzusehen.
Zu beiden Seiten der Treppe führten Flure nach rechts und links. Andere Korridore oder eine Treppe nach unten sah sie nicht. Hedí ging um die Treppe herum in den linken, nach Norden führenden Flur. Er reichte ein ganzes Stück geradeaus durch die Festung, bevor er nach rechts abknickte. Hedí folgte seinem Verlauf, blieb dicht vor der Ecke stehen und spähte darum herum. Am Ende des Flurs standen zwei Soldaten vor einer Tür Wache. Hedí drehte sich um und kehrte zum Eingangsbereich zurück.
Der rechte, nach Süden führende Flur brachte das gleiche Ergebni s – auch er endete an einer von zwei Soldaten bewachten Tür. Vielleicht konnte man durch eine oder beide Türen unter die Festung gelangen. Hedí wollte mehr über das Innere der Bastion herausfinden, um Byrds Karten zu vervollständigen.
Darmouth hatte ihr verboten, die Kellergeschosse aufzusuchen, aber die oberen Etagen durfte sie betreten. Wenn jemand sie aufhielt, konnte sie immer noch behaupten, sich auf dem Weg zu ihrem Zimmer verirrt zu haben.
Hedí ging die zentrale Treppe hoch und kam an zwei Bediensteten vorbei, stieß aber nicht auf Soldaten. Als sie den Treppenabsatz des ersten Stocks erreichte, bemerkte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Mit einem Tablett, auf dem leere Teller standen, kam Julia aus einem Zimmer am Ende des Flurs.
Hielt sich noch jemand als »Gast« in der Festung auf?
Hedí zählte die Türen bis zu jener, aus der Julia gekommen war, setzte dann den Weg nach oben fort und wartete außer Sicht. Nach einer Weile blickte sie übers steinerne Geländer und sah, dass Julia die Treppe zum Erdgeschoss hinabging.
Als Hedí sicher sein konnte, dass die Zofe fort war, kehrte sie in den Flur des ersten Stocks zurück, eilte zu der Tür und hörte Gesang dahinter. Es klang nach einem kleinen Mädchen, und die Präsenz eines Kinds in der Festung erschien Hedí sehr seltsam. Darmouth hatte keine Familie oder Verwandten, weder eine Tochter noch eine Nichte.
Sie klopfte leise an. »Hallo?«
Das Singen hörte auf, und einen Augenblick später öffnete sich die Tür. Ein kleines Gesicht sah zu Hedí auf.
Das Mädchen war nicht älter als zehn, feinknochig und schlank. Es trug ein schlichtes cremefarbenes Kleid, und das dichte schwarze Haar war mit einem weißen Band
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