DHAMPIR - Blutsverrat
Geschichten darüber erinnerten, woher er gekommen war oder warum er seine Gefolgsleute in die Abgeschiedenheit dieser fernen Ecke des Waldes geführt hatte. Klug in der Art von Bäumen, wandelte er nicht mehr unter seinem Volk. Der Wald half ihm durch diese Eiche, und seine Anstrengungen waren es, die ihn am Leben erhielten.
Durch die Wurzeln des Baumes, die andere im Land seines Volkes berührten, wanderte er mit seinen Gedanken und beobachtete das Geschehen im Elfenwald. Er hörte auch die Anmaglâhk in anderen Ländern und sprach mit ihnen, wenn sie lebende Bäume mit »Wortholz«-Splittern berührten, die von seiner Eiche stammten.
Er lauschte jetzt, dachte über jedes Wort nach und wartete, bis Brot’ân’duivé fertig war. Dann antwortete er:
Ich bin zufrieden. Kehr heim.
Der Kriegsherr namens Darmouth war tot und seine Provinz ungeschützt. Nach und nach wandten sich die Menschen gegeneinander, und in den kommenden Jahrzehnten würde das Blutvergießen immer mehr zunehmen.
Der Älteste Vater seufzte erleichtert, und sein Atem zischte leise zwischen verschrumpelten Lippen hervor.
Er würde sein Volk schützen. Der alte Feind wurde stärker und wand sich in seinem Schlaf. Er fühlte es in der Erde und in der Luft, im Flüstern der Bäume. Eines Tages würde der alte Feind zurückkehren, und dann sollten ihm nicht wie beim letzten Mal die menschlichen Horden zur Verfügung stehen. Dafür wollte der Älteste Vater sorgen.
Unter den Dingen, die er von Brot’ân’duivé erfuhr, gab es auch Unerfreuliches. Ein weiterer Anmaglâhk war in die Erde gegangen, und an diesem Abend würde das Volk auf angemessene Weise trauern. Doch Brot’ân’duivés letzte Worte waren besonders beunruhigend und hinterließen Unsicherheit im Ältesten Vater.
Er schickte sein Bewusstsein durch die Wurzeln, Zweige und Blätter des Waldes, bis es eine Lichtung erreichte. Dort saß eine Frau des Volkes, allein. Dem Wald war gesagt worden, dass sie diesen Ort nie verlassen sollte.
Menschen fanden sie schön und verführerisch, und das hatte sie zu nutzen gewusst. Auch Angehörige ihres eigenen Volkes fanden sie attraktiv, selbst jene, die die Narben auf ihrem Rücken gesehen hatten. Weißblondes Haar fiel offen über die Schultern hinweg und umschmiegte ihren schlanken Leib, als sie an eine Ulme gelehnt saß. Ein harter Glanz lag in den großen bernsteinfarbenen Augen, und das dreieckige Gesicht blieb ohne Gefühl. Sie blickte in den Wald und wusste nicht einmal, dass sie beobachtet wurde.
Der Älteste Vater kannte ihren Kummer, doch sein Mitgefühl hielt sich in Grenzen, denn sie war eine Verräterin. Nicht einmal jetzt kannte er alle Details ihrer Taten, ganz zu schweigen von den Gründen dafür.
An jedem Morgen brachte ihr ein Anmaglâhk Essen und klares Quellwasser. Wächterbäume sorgten dafür, dass die Lichtung warm und trocken blieb. Kleidung oder einfache Annehmlichkeiten bekam sie, wenn sich die Notwendigkeit ergab. Neben ihr stand ein Korb mit Schmetterlingkokon s – sie vertrieb sich die Zeit, indem sie schimmernde Shéot’a -Tücher herstellte. Sie trug einen wolkenweißen Umhang aus dem gleichen Stoff, von ihren eigenen Händen gefertig t – was sie schufen, behielt sie für sich, anstatt es ihrem Volk zu geben.
Der Älteste Vater sprach zu ihr, und als Stimme benutzte er das Rascheln der Blätter im leichten Wind.
Cuirin’nên’a …
Sie sah auf, und Zorn blitzte in den Augen, als ihr Blick über die Bäume strich, auf der Suche nach dem Ursprung der Stimme.
Dein verräterischer Sohn kehrt heim.
Die Originalausgabe erschien 2007
unter dem Titel Traitor to the Blood bei Roc, an Imprint of New American Library,
a Division of Penguin Group ( USA ) Inc.
Copyright © 2006 by Barb and J.C. Hendee
All rights reserved including the right of reproduction
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This edition published by arrangement with NAL Signet,
a member of Penguin Group ( USA ) Inc.
Deutschsprachige Erstausgabe November 2009 bei LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH,
Gertrudenstr. 3 0–3 6, 50667 Köln
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 bei EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Redaktion: Rainer-Michael Rahn
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Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 97 8-3 -802 5-8762-7
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