Dhampir - Halbblut
»Wie meinst du das?«
Teesha berührte ihn am Arm. Vor einer Weile hatte Rashed das Hemd abgelegt, um davon unbehindert zu arbeiten. Teeshas Finger auf seiner nackten Haut ließen ihn erzittern.
»Er ist fort«, sagte sie schlicht. »Er hat wie Parko den Wilden Weg eingeschlagen.«
Das Gefühl das Verlustes traf Rashed schwer. Es ging nicht etwa darum, dass er Rattenjunge lieb gewonnen hatte und ihn vermisste. Was ihn bestürzte, war der Umstand, dass sich seine sichere Welt auflöste und er offenbar nichts tun konnte, um das zu verhindern.
Doch das Wichtigste für ihn stand neben ihm und brauchte noch immer seinen Schutz. Wenn er dazu fähig gewesen wäre, hätte er Teesha umarmt und ihr tröstende Worte zugeflüstert.
Aber das brachte er nicht fertig. Stattdessen wandte er sich halb dem Schiff zu und sagte: »Also sind nur noch wir beide übrig.«
»Und Edwan.«
Ja, Edwan. Warum vergaß er den Geist immer? »Natürlich«, erwiderte er.
Teesha zögerte. »Wir haben noch immer uns beide. Vielleicht sollten wir in Rattenjunges Entscheidung ein Zeichen sehen. Vielleicht sollten auch wir alles hier vergessen und gehen.«
Für einen Moment rang Rashed mit sich selbst. Teesha war bei ihm und in Sicherheit. Vielleicht konnten sie diesen Ort tatsächlich einfach verlassen und in der Nacht verschwinden. Doch dann dachte er an die Jägerin und erinnerte sich, wie er Teesha aus einstürzenden Tunneln gezogen hatte, während über ihnen ihr Zuhause niederbrannte.
»Nein, die Jägerin muss sterben. Anschließend machen wir uns auf den Weg. Ich töte sie selbst, morgen Nacht. Du bleibst hier. Es wird nicht lange dauern. Ich kann nicht das Risiko eingehen, dass sie uns folgt.« Rashed deutete zum Schiff. »Mit den mir zur Verfügung stehenden Werkzeugen und Materialien kann ich den Rumpf nicht reparieren, aber ich verspreche dir, dass wir bald aufbrechen. Heute Nacht muss ich noch etwas erledigen. Wir brauchen Geld für die Reise.«
Teesha senkte den Blick, und Sorge zeigte sich in ihrem Gesicht.
»Na schön«, sagte sie leise. »Aber du sollst wissen, dass ich mich fürchte, und es gibt wenig in dieser Welt, das Furcht in mir weckt.«
Das Dränge n – und die Unfähigkei t –, sie zu trösten, wurde für Rashed fast schmerzhaft intensiv. »Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendein Leid geschieht.«
»Davor fürchte ich mich nicht.«
Rashed wartete vor der »Samtrose«, bis ein großer, teuer gekleideter Mann den Gasthof verließ. Daraufhin trat er aus den Schatten einer Gasse und schickte den Mann mit einem Schlag ins Gesicht zu Boden. Rasch nahm er dem Namenlosen den Geldbeutel ab, streifte seinen Umhang über und zog sich die Kapuze über den Kopf, sodass sein Gesicht nicht mehr zu sehen war. Manchmal hielten sich selbst zu dieser späten Stunde noch viele Gäste in der »Samtrose« auf, und Rashed wollte nicht erkannt werden.
Alsereintrat,sahernurdreiPersonen:einDienstmädchen,einenGast,dersichgeradeaufdenWegmachenwollte,unddenElfenLoni,derdieRolledeshöflichenGastwirtsundWächtersspielte.RashedsgeistigeFähigkeitenreichtenaus,ummitallendreienfertigzuwerden.SeineprojiziertenGedankenfordertensieauf,ihmkeineBeachtungzuschenken.TeeshakammitdiesenDingenbesserzurecht,aberRashedwusste,woraufesankam.
Als er am Empfang vorbei war, ging er die Treppe hoch und klopfte an Ellinwoods Tür. Niemand reagierte, aber Rashed spürte die Präsenz des Konstablers im Zimmer.
Er drehte den Knau f – die Tür war nicht abgeschlosse n – und trat ein.
Der große, dicke Ellinwood lag in einem mit Damast bezogenen Sessel. Die Augen waren halb geöffnet, und die Haut darum herum wirkte angeschwollen und hatte einen rosaroten Ton gewonnen. Speichel rann aus einem Mundwinkel und tropfte auf den Kragen seines grünen Hemdes. Auf dem Tisch neben ihm standen ein leeres, langstieliges Kristallglas, eine Urne und eine Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit. Rashed trat näher und sah in die Urne. Er kannte das gelbe Opiat darin. Während seiner Zeit als Soldat im Sumanischen Reich hatte er genug davon gesehen, in schäbigen Tavernen und Lasterhöhlen, wo sich die Verzweifelten trafen. Er vermutete seit Langem, dass Ellinwood sein Geld für irgendeine Sucht ausgab, hatte sich aber nie genug für den Konstabler interessiert, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Voller Abscheu sah Rashed auf den dicken Menschen hinab. Warum sollte jemand das Schicksal der Sterblichen beklagen, wenn sie so oft entschieden, sich selbst zu
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