Dhampir - Seelendieb
reichte n – zum Beispiel die Hafenstraß e – , aber je weiter entfernt von der Stadtmitte man wohnte, desto tiefer stand man in der gesellschaftlichen Hierarchie.
Die Abendluft war frisch, und es wehte ein seltener seewärtiger Wind, der die Gerüche von Holz, Seilen, Fischen und Salz forttrug. Es war nur eine kurze Fahrt von ihrem Zuhause, und schon bald hielt die Kutsche in der Nähe des »Damastthron«. Toret half Saphir beim Aussteigen, und Chane bezahlte den Kutscher.
Zwar brannten Straßenlaternen in Abständen von dreißig Schritten, aber die Nacht war trotzdem angenehm dunkel. In seinem langen Mantel, unter dessen Saum sich die Spitze des Schwerts zeigte, wirkte Chane wie ein Leibwächter, und Toret und Saphir erschienen als reiches Paar.
Die Kutsche rollte fort, und Saphir ging zur luxuriösen Schenke, während Toret und Chane draußen wartete n – auf diese Weise waren sie oft vorgegangen. Chane verschränkte die Arme und stand im Schatten. Er sprach nur selten mit Toret, ohne dass dieser zuvor das Wort an ihn richtete. Toret seufzte und beobachtete, wie Saphir den »Damastthron« betrat.
»Sie ist wunderbar, nicht wahr?«, fragte er.
»Ja, Herr«, erwiderte Chane schlicht.
Kurze Zeit später kam Saphir mit einem jungen Paar aus der Schenke. Das weibliche Opfer überraschte Chane, denn normalerweise brachte Saphir nur betrunkende Männer nach draußen, alles Taugenichtse oder blaublütige Angeber. Und von der Frau abgesehe n – ihr Mann schien ein gewöhnlicher wohlhabender Händler zu sein.
»Oh!«, rief Saphir ihren beiden Begleitern zu, als sie die Straße überquerten. »Da sind meine Freunde. Ich habe euch ja gesagt, dass sie kommen würden.«
Sie stellte das Paar als Simask und Luiza vor. Toret schüttelte dem Mann die Hand und grüßte die Frau höflich.
»Simask ist der Sohn eines strawinischen Winzers und geschäftlich in Bela«, fuhr Saphir fort. »Sie kennen niemanden in der Stadt, und deshalb habe ich angeboten, ihnen einige unserer Abendattraktionen zu zeigen. Ihr könnt mir dabei helfen, sie zu unterhalten.«
Chane musterte die Frau: Anfang zwanzig, blasse Haut und das dunkle Haar unter einem kleinen roten Samthut zusammengesteckt. Plötzlicher Hunger regte sich in ihm. Er stellte sich vor, wie er die Lippen an Luizas weichen, warmen Hals presste und zubiss, sah die lähmende Furcht in ihrem Gesicht, und diese Bilder drängten seine normalerweise verächtlichen Gedanken beiseite. Er spürte die Veränderungen im Mund: Die Eckzähne wurden länger und spitzer; Speichel sammelte sich, und er schluckte ihn hinunter.
Nur während der Jagd vergaß Chane, dass er zu einem Sklaven geworden war.
Toret sah Simask an und lächelte. »Kommt nur. Ich kenne da eine weitaus bessere Schenke namens ›Eschenwald‹, hier die Straße hinunter. Das Essen dort ist ausgezeichnet, und sie haben den besten Weinkeller in der ganzen Stadt.«
Torets entspannte und freundliche Art räumte eventuelle Bedenken des jungen Paars aus. Sie schlenderten über die Straße, begegneten einigen späten Spaziergängern und einem Wächter, der ihren Gruß mit einem höflichen Nicken erwiderte.
Chane schwieg, während Saphir und Toret mit Simask und Luiza sprachen. Sie folgten dem Verlauf einer abfallenden Straße, die zum Geschäftsviertel außerhalb des inneren Kreises führte. Jener Teil der Stadt war im Lauf der Jahre etwas heruntergekommen und um diese Zeit so gut wie verlassen. Chane langweilte sich fast, als Simask plötzlich stehen blieb, sich umsah und feststellte: Hier gab es nur noch wenige Straßenlaternen, die Gebäude waren dunkel, und außer ihnen schien niemand unterwegs zu sein.
»Sind wir am ›Eschenwald‹ vorbeigekommen?«, fragte Simask. »Vielleicht sind wir zu weit gegangen.«
Toret packte ihn ohne jede Vorwarnung und stieß Simask an die Wand eines nahen Ladens.
Die Schnelligkeit und Kraft seines kleineren Herrn überraschten Chane schon lange nicht mehr. Torets Lippen wichen zurück, und zum Vorschein kamen lange Eckzähne. Er blies Simask seinen Atem ins Gesicht, bevor er ihn losließ.
»Lauf«, flüsterte er.
Toret spielte nur selten mit seiner Nahrung. Chane mochte ein solches Vorspiel, wusste aber auch, welchen Wert sein Herr auf Geheimhaltung legte. Die meisten Edlen Toten konnten die Erinnerungen ihrer Opfer durcheinanderbringen oder trüben, und deshalb ließen sie sie normalerweise am Leben, wenn auch desorientiert. Einige entwickelten bessere Fähigkeiten, doch Chane und
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