Dhampir - Seelendieb
Falten bildeten sich in seiner Stirn, und der Moment kühler Nachdenklichkeit verschwand aus seinem Gesicht. »Natürlich. Warum hältst du es für nötig, mich das zu fragen?«
Magiere schüttelte den Kopf und fühlte sich etwas besser, beschloss aber, wachsam zu bleiben. Sie hielt es für besser, wenn sie beide in ihrem gegenwärtigen Zustand blieben, was auch immer er oder sie selbst dachte. Es war besser, einen nahen Gefährten zu haben al s … etwas Blutleeres und Lebloses in einem Grab.
Der lange Zweimaster schwankte neben ihnen auf den Wellen, und Matrosen ließen eine Strickleiter herab. Einer der beiden Ruderer griff danach und kletterte mühelos empor.
»Du solltest den Brief aus Bela besser für den Kapitän bereithalten«, sagte Leesil. »Er wird sich nicht sehr darüber freuen, dass er für fünf Passagiere angehalten hat und feststellen muss, dass zwei von ihnen und ihr Hund gratis reisen.«
Daran hatte Magiere nicht gedacht. »Kannst du mit Chap die Leiter hochklettern?«
Leesil grinste. »Du würdest staunen, was ich alles erklettern kann.«
»Nein, das würde ich nicht«, erwiderte sie mit gerunzelter Stirn. Sie sprachen nie über ihre Vergangenheit vor dem ersten Treffen, aber während des Kampfes gegen Rashed und die anderen Untoten hatte Magiere gemerkt, dass Leesil mehr war als nur ein vagabundierender Dieb. Wie viel meh r … das wusste sie noch immer nicht genau.
»Spring, Chap!«, sagte Leesil scharf und bückte sich, den Rücken dem Hund zugewandt.
Chap sprang und landete auf dem Rücken, mit den Vorderpfoten über den Schultern. Leesil kletterte rasch die Leiter hoch, hielt dabei den Hund mit einer Hand fest.
Oben angekommen blickte er über die Reling und fragte sehr ernst: »Bist du bereit?«
»Nein«, antwortete Magiere, ergriff aber die Strickleiter und folgte ihm.
Im Lauf der nächsten vier Nächte ließ Leesils kaum verhohlener Enthusiasmus schnell nach.
Zwar gefiel ihm die Vorstellung von frischer Seeluft und Wellen, die der Bug des Schoners teilte, aber das Reisen auf dem Meer war neu für ihn. Am zweiten Mittag wurde aus dem flauen Gefühl in seiner Magengrube richtige Übelkeit. Er übergab sich mehrmals, und Essen übte etwa den gleichen Reiz auf ihn aus wie der Schmutzwassereimer, den der Koch gerade über die Reling entleert hatte. Vielleicht gab es einen guten Grund dafür, warum das Volk seiner Mutter ungern reiste.
Er blieb so oft wie möglich an Deck, in der frischen Luft. Manchmal lebte der Wind auf, wodurch das Schiff noch stärker schaukelte, und dann wankte Leesil unter Deck zurück und rollte sich auf seiner Koje zusammen. Bei solchen Gelegenheiten konnte er zwischen den Übelkeitsanfällen nur noch den ganzen Tag Trübsal blasen. Seine Vorstellung von dieser Reise war weit, weit von der Realität entfernt.
Er hatte gehofft, dass sich unterwegs auf dem weiten Meer ihre Routine verändern würde und ihnen gestatten würde, einander näherzukommen. Er hatte geglaubt, dass sie, anstatt sich um alltägliche Dinge kümmern zu müssen, Pläne schmieden und Strategie und Taktik besprechen würden, wodurch sie sich schon einmal recht nahegekommen waren. Leesil hatte sich vorgestellt, mit Magiere allein zu sein, so wie in der guten alten Zeit.
Bisher war das nicht eingetreten.
Er fürchtete, den Mund zu öffnen, nicht nur wegen der Übelkeit, sondern auch, weil vielleicht Worte herausgekommen wären, die er später bedauert hätte. Hinzu kam: Ihre Kabine war kaum größer als ein Schrank, und neben den beiden schmalen Kojen blieb kaum genug Platz für Chap und die Truhe. Und doch: Vermutlich handelte es sich um den größten privaten Raum an Bord des kleinen, schnellen Frachtschiffs, das im Grunde gar nicht für die Beförderung von Passagieren vorgesehen war.
Leesil sah sich in der Kabine um, die nur von einer kleinen Laterne an einem Haken in der Ecke erhellt wurde. Sie schwang langsam hin und her und bewegte die Schatten auf eine Weise, die Leesils Magen nicht zur Ruhe kommen ließ.
Als sie die Kabine zum ersten Mal gesehen hatten, wäre Magiere beim Zurückweichen fast über ihn gestolpert. Jahrelang hatten sie im Freien geschlafen, nur mit einem Lagerfeuer zwischen ihnen. Einmal, nach einem Kampf gegen einen Untoten und dem ersten Erscheinen ihrer Dhampir-Natur, hatte Magiere die ganze Nacht auf Leesils Schoß geschlafen. Und jetzt widerstrebte es ihr, eine Kabine mit ihm zu teilen?
Zusammengerollt lag er auf der unteren Koje, hielt die Augen geschlossen
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