Dhampir - Seelendieb
krochen.
»Dies könnte die ganze Nacht so weitergehen. Man wird erst morgen früh nach dir sehen. Und der arme Kerl, der dann deine Leiche findet, verliert vermutlich sein Frühstück.«
Er nahm die Kerze, um einen weiteren Ölfleck anzuzünden, und der Mann vor ihm wand sich zur Seite.
»Meister Pojesk!«, rief er.
Leesil hielt inne.
»Ihm gehört ein Lagerhaus in Miiska«, sagte er. »Warum sollte er Magiere tot wollen?«
»Er will sie aufhalten«, platzte es aus dem Mann heraus. »Er will nicht, dass die Stadt ein neues großes Lagerhaus baut. Dann würde er verlieren, was er jetzt hat. Verstehst du nicht? Es ist die Wahrheit.«
Leesil setzte sich auf die Fersen.
Natürlich konnte Pojesk kaum daran gelegen sein, dass Magiere mit genug Geld für ein von der Stadt betriebenes großes Lagerhaus zurückkehrte. Doch diese Information konnte er nicht an Magiere weitergeben. Noch nicht. Sie folgte dem neu eingeschlagenen Weg nur, weil sie Miiska helfen wollte. Wenn sie erfuhr, dass ein Bürger der Stadt Leute beauftragt hatte, sie zu töten, verlor sie vielleicht ihre Entschlossenheit. Und was dann? Würde sie es sich anders überlegen und heimkehren? Wenn sie eine solche Entscheidung traf, würde sich die Lage in Miiska weiter verschlechtern, und dann dauerte es nicht lange, bis sie mit der Taverne nicht mehr genug verdienten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nein, er durfte ihr nichts davon sagen. Sie mussten das leisten, was man von ihnen erwartete, und das Geld dafür kassieren; andernfalls gab es keine Zukunft für sie. Leesil konnte Magiere schützen, indem er ihr nicht sagte, wer ihr die Halunken auf den Hals gehetzt hatte.
Leesil erhob sich und goss das Öl auf den Kopf des Mannes.
»Was soll das?«, brachte der Mann entsetzt hervor.
»Hat er sonst noch jemanden beauftragt?«, fragte Leesil.
»Nein! Niemanden außer uns. Das schwöre ich.«
Leesil starrte auf den Mann hinab, bis er davon überzeugt war, dass er tatsächlich die ganze Wahrheit gesagt hatte. Dann ging er wieder in die Hocke und beugte sich vor. Der Gefangene zuckte erschrocken zusammen, doch Leesil riss ihm nur die Hose auf und betrachtete die Brandwunde. Die Haut war angesengt.
»Es interessiert den Kapitän nicht, wenn du ihm sagst, dass ich bei dir gewesen bin. Und denk daran: Ich kann noch einmal zu dir kommen.« Leesil verstaute seine Werkzeuge, nahm die Laterne und ging zur Tür.
»Hättest du mir die Hände abgeschnitten und die Augen ausgestochen?«, flüsterte der Mann.
Leesil gab keine Antwort, verließ den Raum und sicherte den Riegel der Tür wieder mit dem Frachthaken.
5
In schwarzer Hose und abgetragenem Lederhemd, das Falchion an der Hüfte, stand Magiere am Bug des Schoners und beobachtete, wie der Sonnenschein auf dem Wasser glitzerte. An diesem Morgen würden sie Bela erreichen. Im Herbstwind hatten sich einige Strähnen ihres Haars gelöst, und Magiere band es wieder zu einem Pferdeschwanz zusammen. Der Druck des Riemens erinnerte sie an die Kopfschmerzen; sie hatten im Lauf der Nacht nachgelassen, während sich ihr Körper schnell erholte.
Alle wussten von dem Angriff auf Magiere, und sie merkte, wie Besatzungsmitglieder in ihrer Arbeit innehielten und sie anstarrten. Als sie übers Deck zum Kapitän sah, der neben dem Ruder stand, stellte sie fest, dass er sie ebenfalls beobachtete.
Sie gab sich so gleichgültig wie möglich und blickte über den Bug. So sonderbar Leesil anderen Leuten auch erscheinen mocht e – sie selbst war ebenfalls ein Kuriosum. Während ihrer Reisen durch die strawinische Provinz war Magieres Erscheinungsbild nicht so sehr aufgefallen. In den dichten Wäldern filterten die Baumwipfel den Sonnenschein an klaren Tagen, aber unter einem wolkenlosen Himmel auf dem Meer konnte man das blutrote Schimmern in ihrem Haar deutlich sehen. Und nicht nur das.
Magiere schob den linken Ärmel zurück und sah auf ihren Unterarm. Seit einiger Zeit hatte sie ein seltsames Gefühl, weder angenehm noch unangenehm, und es stellte sich nur dann ein, wenn sie für längere Zeit der Sonne ausgesetzt war. Ein leichtes Prickeln lief ihr über die helle Haut. Sie hatte immer vermutet, dass ihre Blässe in dem nur matten Licht der Wälder von Strawinien begründet lag, oder darin, dass sie oft des Nachts unterwegs gewesen waren. Als Leesil und sie auf dem Weg nach Miiska die offene Küste erreicht hatten, war ihr nichts aufgefallen. Aber nach Monaten in der Stadt und Tagen auf See unter der Herbstsonne
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