Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
abgebaut. Als die Weardas im Tunnel verschwunden waren, fragte Chane:
»Was macht die Herzogin hier?«
»Offenbar geht es ihr um mehr als nur darum, Hammer-Hirsch die letzte Ehre zu erweisen«, antwortete Wynn. »Es gibt Verbindungen zwischen den Königlichen und den Steingängern. Von Erz-Lockens Besuch bei Hochturm ganz zu schweigen.«
»Ja, auch die Gilde ist von dieser Sache betroffen«, pflichtete ihr Chane bei. »Damit haben wir es mit drei mächtigen Gruppen zu tun.«
»Und die Herzogin ist zu den Steingängern gegangen. Wir könnten uns hier verstecken und auf ihre Rückkehr warten.«
»Wenn sie hierher zurückkehrt«, erwiderte Chane. »Vermutlich hat sie die Steingänger nach der Trauerfeier begleitet. Vielleicht bleibt sie bei ihnen.«
Da war Wynn nicht so sicher. »Warum hat sie auf dem Markt Kleidung gekauft, die sie nicht braucht und die ihr nicht passt? Sie mag bei den Steingängern willkommen sein, aber ich bezweifle, dass eine Königliche in der Unterwelt Quartier bezieht. Nein, sie ist aus einem anderen Grund hier.«
Schatten jaulte laut, und Wynn schaute zu ihr hinab.
Die Hündin kratzte mit einer Pfote über den steinernen Boden und bellte.
»Pscht«, machte Wynn, ging in die Hocke und griff mit beiden Händen nach Schattens Schnauze.
Alles verschwamm vor Wynns Augen, als ihr Geist Bilder empfing.
Sie wanderte durch einen feuchten Tunnel. Von Mineralienadern in den Felswänden ging ein mattes, phosphoreszierendes Glühen aus, und der Boden unter ihren Füßen fühlte sich eben und glatt an. Sie roch … Meerwasser.
Der Tunnel war schmal, gerade breit genug für zwei Menschen nebeneinander oder einen Zwerg. Die rauen Wände waren verkalkt, was auf ein hohes Alter dieses Ganges hinwies. Aus irgendeinem Grund hatte es niemand für nötig gehalten, die Wände zu glätten.
Am Ende des Tunnels befand sich eine eiserne Tür, die an einigen Stellen Rost angesetzt hatte.
Das Erinnerungsbild zitterte.
Plötzlich stand sie vor der Tür, sah nach unten und bemerkte den Saum eines dunkelgrünen Mantels und hohe Reitstiefel – beides gehörte der Person, von der diese Erinnerungen stammten. Dann weckte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit: ein handtellergroßes glänzendes Oval an der Tür, dort, wo man ein Schlüsselloch erwartet hätte.
Das silbrige Weiß bot einen eindeutigen Hinweis: Chein’âs-Metall.
Wynn fühlte, wie sie die Hand hob und etwas aus ihrem Haar zog. Als sie die Hand wieder sinken ließ, hielt sie einen Kamm, wie eine Meereswelle geformt. Plötzlich wusste sie, wessen Erinnerungen sie teilte.
Herzogin Reine nahm den Kamm und drückte ihn an die konkave Seite des Ovals.
Wynn hörte, wie Metall leise über Metall strich.
Sie reichte den Kamm jemandem, der hinter ihr stand, und drückte die Tür auf. Ihre Angeln quietschten leise. Keine anderen Schritte folgten ihr, als sie hindurchtrat, aber jemand schloss die Tür. Sie stand in einem dunklen Raum aus natürlichem Gestein, und der Geruch des Meeres wurde stärker.
Hinter einem nahen Sims bemerkte sie Wasser, das den größten Teil des Bodens bedeckte. Ein eisernes Gitter in der hinteren Wand war halb überspült. Jenseits davon erstreckte sich ein finsterer Tunnel, der ebenfalls halb unter Wasser stand – ihr Blick reichte dort nur einige Meter weit.
Sie wandte sich plötzlich nach links.
Eine Öffnung in der Wand führte in einen anderen Raum, und was auch immer er enthielt, es blieb in der Dunkelheit verborgen. Mattes Licht kam von irgendwo, doch sein Ursprung ließ sich nicht feststellen. Die Öffnung wurde undeutlich und verschwamm. Ihre Augen begannen zu brennen.
Tränen rannen ihr über die Wangen.
Etwas Feuchtes schlug auf Stein – das Geräusch kam aus dem anderen Raum.
Dort bewegte sich etwas.
Schwindel erfasste Wynn; sie fühlte sich gefangen zwischen ihren eigenen Ängsten und dem Kummer in Herzogin Reines Erinnerung. Und dann wurde alles schwarz.
Wynn zitterte, als sie in Schattens hellblaue Augen sah. Sie sank zu Boden.
»Wynn?«, fragte Chane besorgt und ging neben ihr in die Hocke.
Während sie im Raum mit dem weißen Portal in ihre Lügen verstrickt gewesen war, hatte sich Schatten nützlich gemacht. Wynn holte tief Luft, drückte ihre Wange an Schattens Schnauze und schloss die Augen. Die Hündin versuchte ganz offensichtlich, ihr etwas mitzuteilen, aber sie brauchte mehr als das, was sie gesehen hatte.
»Wynn?«, fragte Chane erneut. »Sag was!«
»Ein unterirdischer Raum … Wasser, das den
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